Roll, Stone, Roll Forever

■ Jagger - Tüten - „Angie“ - Olympiastadion: Ein ewiger Fan berichtet vom Stones-Konzert / Kartenschieber bestraft: Eintrittskarten für 20 D-Mark abgegeben / Mick Jagger hat Deutsch gelernt / Keith Richards aber der meist umjubelte Star

Charlottenburg. U-Bahnhof Kottbusser Tor. Zwei Lederjacken mit Fransen dran steigen ein. „Erst mal vorglühen“, sagt die eine und schüttelt den Joint aus dem Ärmel. Die Kartenschieber werden bestraft. Vorm Olympiastadion müssen sie ihre gehorteten Tickets für 20 D-Mark fast verschenken. „Liebe Musikfreunde! Hier spricht Ihre Polizei...“, lügt ein Lautsprecher, während drinnen The Gun aus Schottland ihr Bestes geben, was aber keiner haben will.

21Uhr. Acht Flammenwerfer begrüßen die Massen und die ihre Stones. Jagger rennt rum wie ein verarmter Landadel - mit rotem Frack.

Die Wetterfrösche haben Regen angedroht, der nirgends zu sehen ist. Die alte Kiste. Wahrscheinlich sind sie alle Beatles-Fans. Ein Hit jagt den anderen. Es dämmert schon, da kommt der erste Höhepunkt: „Angie“. Ein weibliches Augenpaar in BlockB dreht sich verträumt im Kreis. „Weißt du noch...?“ - „Natürlich“, heben sich zwei männliche Schultern, und dann wird geknutscht wie in alten Zeiten. Hatten wir uns nicht geschworen, niemals normal zu werden...?

Keith Richards spielt „Brown Sugar“ an. Er ist wieder clean. Wir nicht. Zusammen mit drei Easy Ridern der ersten Stunde und zwei 16jährigen Mädchen ist's die dritte Tüte. Auf der Video-Leinwand wird Charlie Watts groß ins Bild gesetzt. Er sieht aus wie der Kerl, der mir in meiner Sparkasse immer den Dispo kürzt. Aber wenn der auch nur halb so gut drauf wäre wie Charlie, würde ich ihm das verzeihen.

Jagger schiebt seinen Knackarsch wie besessen über die 72 Meter Auslauf. Er ist der schnellste, reichste und geilste Rockprolet dieser Erde. „Ruby Tuesday“ erklingt. Mit den Wunderkerzen geht vielen ein Licht auf. „Eigentlich sollte unser Leben doch ganz anders sein.“

Ein Zuhältertyp fuchtelt mit seiner „Sitzplatzkarte“ gegen eine Wand Wirbelsäulen. „Hinsetzen, ich sehe nichts.“ Drei Sachsen, alles gute Schmuggler und somit voller Radeberger, legen ihm die Hand aufs Sakko: „Sädisfektschen, Alder“. Bei „Honkey Tonk Woman“ werden zwei Riesenpuppen aufgeblasen. Ein „Jack Daniels„-T-Shirt grinst: „Bei der brauchste ja 'ne Strickleiter“. „It's only Rock'n'Roll“ und „Satisfaction“ kennen alle. Jagger hat Deutsch gelernt (lohnt sich ja wieder) und fragt: „Wollt ihr mir ein Lied singen?“ Dafür sind wir ja hierher gekommen, und ab geht's. Paul, sechs Jahre, ist eingeschlafen. Er hat es aufgegeben, auf die Toten Hosen zu warten.

Beim Abschied bekommt Keith Richards den meisten Applaus, weil er immer noch lebt. Ich habe jetzt endgültig eine Stones-Vergiftung. Unendlich scheint die Entzugsphase zu werden. - Ach Quatsch. Auf Wiedersehen im Jahr 2000!

Torsten Preuß