Auch Grenzer wollen an der Mauer mitbaggern

■ Grenzkommandos fühlen sich in der Frage des Mauerabrisses übergangen / Bisher großer Kompetenzwirrwarr zwischen drei verschiedenen Koordinationsausschüssen / Zuerst fällt die Mauer zwischen den Bezirken, der Beton rund um Berlin muß warten

Berlin. Seit dem vergangenen Wochenende ist es raus: Ab 2. Juli sollen alle Straßen zwischen beiden Teilen Berlins wieder ohne jegliche Kontrollen passierbar sein. Doch bis zu diesem Termin steht ein großer Betonbrocken Arbeit vor allen Beteiligten, wie sie auch immer namentlich heißen werden. Deshalb hat der Ostberliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina einen Appell an alle Baubetriebe in Ost und West gerichtet, bei dieser einmaligen vereinigenden Aktion mit anzupacken. Unentgeltlich, wie er sagte. Doch die Selbstkosten, so war bereits von einigen interessierten Firmen zu hören, müßten dabei schon herausspringen. Bisher öffentlich nicht im Abriß-Gespräch war dagegen das für die Aufgabe kompetente und wohl auch naheliegende Grenzkommando Mitte, verantwortlich für den Raum Berlin. Deshalb reagierte man dort sauer und enttäuscht auf die ersten Pressemeldungen zum Thema Mauerbeseitigung. Wurden die Grenzer bei dem sich überschlagenden Tempo der Ereignisse nur vergessen?

Bereits Dienstag vormittag hat man dem DDR -Verkehrsministerium, Hauptabteilung Straßenwesen, und dem zuständigen Koordinierungsausschuß beim Magistrat einen Abrißvorschlag auf den Tisch gelegt. Der Pressesprecher des Grenzkommandos, Rainer Menzel, versicherte, daß ihre Pioniere „materiell, technisch und personell“ ohne weiteres in der Lage sind, die Sperrelemente an den 141 Straßen im Stadtgebiet und im Umland des Bezirks Potsdam in den bleibenden gut drei Wochen, wie der Regierungsbeschluß es vorsieht, abzureißen. Und die Grenzer meinen es ernst, denn die ersten Vorarbeiten an den Fixpunkten haben bereits begonnen. Erwartungsvoll blicken sie auf die kommenden Tage, wenn der Koordinierungsausschuß alle eingegangenen Konzeptionen zusammenfaßt und in Abstimmung mit dem Senat die beste Variante in Angriff nimmt. Das dürfte allerdings noch einige Zeit dauern. Denn insgesamt gibt es jetzt drei „Koordinationsausschüsse“ zum Mauerabriß. Einen beim Magistrat, einen beim Senat und den dritten bei „Abrüstungsminister“ Eppelmann. So meinte Schwierzina schon im Scherz, daß „man nun noch einen vierten Koordinierungsausschuß braucht“. Zuallererst werde es nur um die Öffnung der Straßenzüge zwischen den Stadtbezirken gehen, meinte Pressesprecher Menzel. Darunter fallen nicht diejenigen Straßenzüge, die die Grenze tangieren und parallel zu ihr verlaufen. Und der Abriß der „restlichen Mauer“ auf etwa 160 Kilometer Länge rund um Berlin kann nach seinen Vorstellungen erst danach beginnen, wird einige Monate dauern, vielleicht bis zum Jahresende.

Krane, Kipper, Hebefahrzeuge und Trenngeräte stehen beim Grenzkommando bereit. Vier mobile Einsatzbrigaden wurden gebildet, die in den Stadtbezirken Prenzlauer Berg, Mitte, Pankow und Treptow sofort nach einem Magistratsbeschluß in Aktion treten können. Tag und Nacht würden sie im Einsatz sein, auch an den Wochenenden. Auch Wehrpflichtige können hinzugezogen werden. Den neuen Straßenbelag sollen wie am Potsdamer Platz und der Glienicker Brücke West-Unternehmen liefern. „Jedoch wenden wir uns gegen einen wilden Abriß der Betonteile wie am Mittwoch in der Adalbertstraße durch den Stadtwirtschaftsbetrieb“, erklärte Menzel. Im übrigen sieht das Papier des Grenzkommandos Mitte auch eine Rang- und Reihenfolge der zu öffnenden Verbindungswege zwischen beiden Teilen der Stadt vor. So sollten als erstes in Pankow die Bahnhofs- und Quickborner Straße geräumt werden, in Prenzlauer Berg die Helmut-Just-Straße, in Mitte die Wolliner, Ruppiner, Acker- und Bergstraße sowie in Treptow die Lohmühlen- und Bouchestraße sowie der Dammweg. Dabei wird an jedem der freigemachten Durchgänge noch so lange der Personenverkehr von Grenzern „überwacht“, wie es keine anderen Festlegungen gibt. Ähnliche Ideen bestehen für den Bezirk Potsdam. Bleibt abschließend die Frage, ob der Mauerabriß gerade im Ostteil der Stadt als so weltbewegendes Problem die Gemüter bewegen wird...

Wolfgang Schönwald