Gene und Gehirn

■ Francis Cricks „Ein irres Unternehmen“

Francis Crick hat 1953 zusammen mit James D. Watson die Struktur des DNA-Moleküls entdeckt. Crick, Watson und Maurice Wilkins, der unabhängig von den beiden wesentliche Beiträge zur Enträtselung des Moleküls erbrachte, wurden 1962 für die Doppel-Helix mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Bereits 1968 hat James D. Watson seinen persönlichen Bericht zum Verlauf dieser Entdeckung unter dem Titel Die Doppel-Helix veröffentlicht. Dieses Buch gleicht einem Roman. Watson plaudert aus seinem Leben und schafft es so, die Entdeckung menschlich zu begründen. Es war keine trockene Schreibtischarbeit, sondern zwei Besessene wollten wissen, was DNA ist, und sie wollten die ersten sein. Das Buch wurde auf Anhieb ein Bestseller und ein Skandal, da die meisten Wissenschaftler dieser Zeit das von Watson gezeichnete Bild eines von Zufällen geleiteten Forschers, der nicht 16 Stunden am Tag im weißen Kittel der Laborarbeit frönt, um sich von den restlichen acht noch vier zum Theoretisieren abzuknapsen, nicht akzeptieren konnten.

Seit langem hat man auf das entsprechende Buch von Francis Crick gewartet, um seine Sicht der Dinge zu erfahren. Vor zwei Jahren ist sein Buch unter dem Titel What Mad Pursuit in Amerika erschienen, wo Crick seit 1976 lebt. Crick gerät weniger ins Plaudern als Watson. Ihm liegt mehr an der Darstellung der Ideen der klassischen Molekularbiologie und deren Auswirkungen bis heute. Crick schildert zuerst, welches Wissen Forschern zu Anfang der fünfziger Jahre zur Verfügung stand. So erfährt auch der Leser das Wesentliche und kann die Entdeckung der Doppel -Helix als logische Konsequenz des Standes der Wissenschaft mitverfolgen.

Crick hält sich nicht lange bei der DNA auf. Im Anschluß an den Entdeckungsbericht beschreibt er seine weitere Forschungsarbeit. Als nächste Hauptaufgabe empfand er die Entschlüsselung des in der DNA gespeicherten Codes, zu dem er schon recht früh ein wesentliches Papier veröffentlichte. Gegen Ende seiner Karriere sah Crick die wesentlichen Probleme seines Fachgebietes gelöst und überließ die Detailarbeit seinen Nachfolgern.

Er selbst wandte sich einem vollkommen anderen Gebiet zu, auf das er nach dem Krieg zugunsten der Genetik verzichtet hatte: die Funktionsweise des Gehirns. Er schlägt vor, auch in der Neurophysiologie die beteiligten Moleküle zu analysieren und über das Verständnis dieser kleinen Strukturen auf die Denkprozesse zu schließen. Er glaubt nicht, daß dies der einzige Ansatzpunkt zur Erforschung des Gehirns ist, wohl aber der wesentliche Schritt, der bis jetzt ausgelassen wurde, wie auch in der Genetik vor den dreißiger Jahren.

Oft wurde Francis Crick ein starker Reduktionismus vorgeworfen, aber Wissenschaftstheorie hin oder her, der Erfolg, denke ich, gibt seinen Methoden recht. Francis Crick ist gewiß nicht bescheiden (Watson deutete das schon an), aber nicht zuletzt sein Scharfsinn und seine jugendliche Arroganz ermöglichten ihm erst, aus den in den fünfziger Jahren bekannten Fakten - im Gegensatz zu den anderen Forschern, die der DNA auf der Spur waren - die wesentlichen auszufiltern, ein „Spielzeugmodell“ der DNA zu entwerfen und dafür den Nobelpreis einzuheimsen. Sein sogenannter „Reduktionismus“ scheint mir beser als Folgerichtigkeit umschrieben. Crick versucht diese Denkweise zu vermitteln und legt sie Wissenschaftlern der heutigen Generation ans Herz. Auch und gerade den Forschern der Künstlichen Intelligenz, die er im Verdacht hat, durch Computer -Vernarrtheit das eigentliche Denkmodell zu vernachlässigen.

Crick plaudert zwar nicht so viel wie Watson und das Buch liest sich daher ein wenig zäher, dafür erfährt man aber in diesem Buch die wesentlichen Ideen der Molekularbiologie und Genetik. Alle, die glauben Genetik ist gleich Clonen, sollten dieses Buch lesen.

Markus Andrezak

Francis Crick, Ein irres Unternehmen. Die Doppelhelix und das Abenteuer Molekularbiologie. Aus dem Englischen von Inge Leipold.

Piper Verlag, München/Zürich 1990. 244 Seiten, 39,80 DM