Selbst aus roten Karten und Gras wird Geld

Wenn heute in Italien die 14. Fußball-Weltmeisterschaft beginnt, rollt neben dem Ball auch so manche Mark / Von den 24 Mannschaften sind die absoluten Favoriten der englischen Buchmacher: Italien, Niederlande, Brasilien, BRDeutschland  ■  Von Herrn Thömmes

Geht ja heute richtig gut und mit Schwung los, die Fußballweltmeisterschaft in Italien, mit einer Alliteration der flottesten Sorte: „Mode, Mädchen und Musik.“ Schreibt eine Presseagentur und verrät uns zudem, daß im Mailänder Guiseppe-Meazza-Stadion, von Nostalgikern noch immer San -Siro gerufen, ein Modemacher Missoni mit Hilfe von Mannequins teuflisch Stimmung macht, angeheizt vom Dirigenten Muti, der das Orchester der Mailänder Scala befehligt.

Das muß sein. Eröffnungsspiele gehören zu den traurigsten Kapiteln von WM-Turnieren, und da ist es nur billig, daß die Zuschauer sich zuvor amüsieren. Zwanzig Jahre lang, ja, wirklich zwanzig Jahre lang fiel dabei nicht ein einziges Tor, ehe sich in Mexiko 1986 Italien und Bulgarien erbarmten, der Welt wenigstens ein mühsames 1:1 zu schenken.

Vergessen. Weil sich ab jetzt gefreut wird und an die Zukunft gedacht, an Fallrückzieher und Doppelpäße, an Flugkopfbälle und Torwartparaden. Ans Finale. Und manch einer denkt darüber hinaus. Joao Havelange zum Beispiel, als FIFA-Präsident quasi oberster Lehnsherr der Branche, gleich bis ins Jahr 2002. Dann nämlich will er die erste Weltmeisterschaft in Asien erleben, nicht gerade, weil der Brasilianer Philanthrop wäre, sondern weil dort „mit den Milliarden Menschen ein riesiger Markt ist“.

Ein Mann mit Visionen. Dabei gäbe doch das jetzige Spektakel schon allen Grund zur Freude: 13,6 Milliarden Mark, errechnet die 'International Herald Tribune‘, werden bewegt. Ein beachtlicher Batzen, und am Profit partizipiert die FIFA von Havelange nicht ganz unwesentlich. Auf 265 Millionen Mark werden die Rekord-Einnahmen von 1986 gleich verdoppelt, die sein Generalsekretär Joseph Blatter so auffächert: „112 Millionen Mark kommen aus den TV-Rechten, 64,9 aus der Werbung und 88,5 von den garantierten Ticketverkäufen.“

Da zeigt sich die FIFA doch gern von der großzügigen Seite. 767.000 Mark zahlt sie jedem der nationalen Verbände für jedes Endrundenspiel, was sich für die beiden Finalisten auf 5,37 Millionen summiert. Spesen exklusive. Die Vorbereitungskosten werden mit 295.000 bezuschußt, die Reisekosten übernommen, und der Aufenthalt bringt 11.000 pro Tag, eine Woche zusätzlich pauschal vergütet.

WM tut gut. Land und Leuten, sagen die italienischen Organisatoren. Weshalb der Staat mächtig investiert hat in Infrasturktur und Stadionbau - acht bis zehn Milliarden Mark -, auf deren künftigen Rückfluß dann alle gespannt warten, weil das aus Erfahrung weniger verläßlich zu kalkulieren ist als vorher die spätere Kostensteigerung im Vergleich zur Planung; da gilt ganz grob: die anvisierten Kosten mal Faktor drei.

Also: 2,2 Milliarden Mark soll der Verkauf von Souvenieren bringen, und am Ende, wenn der Schiedsrichter das Finale abgepfiffen hat, werden sich die Gärtner über den vom Heiligen Vater gesegneten Rasen des römischen Olympiastadions hermachen und ihn in 250.000 Teile zerschneiden, 140 bzw. 280 Mark das Stück wert. Alle Achtung, so macht man Geschäfte.

Und dann der Tourismus. 500 Millionen von den vom Ball angelockten Fußballfreunde im Land, ist das nichts? Könnte wohl sein, daß das nichts wird. Weil bereits in Mexiko (1986) und Spanien (1982) diese Rechung nicht aufgegangen ist. Gerade eine halbe Million Besucher jeweils wurde da von der WM angelockt, weit weniger als erwartet; und Italien zählt auf 4,5 Millionen zusätzliche Besucher.

Hoffte, sollte man vielleicht besser sagen, denn die Zahlen in dieser so wichtigen Branche sehen nicht gut aus: Die Zahlen im Tourismus gehen zurück, 20 Prozent weniger Deutsche kommen in diesem Jahr, so wird befürchtet, und mit 13 Prozent veranschlagen Experten den Verlust an Urlaubswilligen allgemein. Kleiner Trost: 7.000 Journalisten sind Italien sicher.

Die FIFA blickt da auf verläßlichere Einnahmequellen als das Land Italien, eine davon war bislang gänzlich unbekannt. Was sich zunächst wie eine verschärfte Aufforderung zum Fair play anhört, wenn Präsident Havelange fordert: „Attacke von hinten: Platzverweis. Verbale Attacke auf den Schiedsrichter: Raus. Festhalten am Trikot, um ein Tor zu verhindern: Rot“, hat eine durchaus monetäre Komponente. 10.000 Schweizer Franken kostet jeder Feldverweis den Spieler in der Vorrunde, im weiteren Verlauf des Turniers werden 20.000 rsp. 30.000 Franken fällig. Und eine zweite gelbe Karte schlägt erst mal mit 5.000 Franken zu Buche, Steigerung selbstverständlich.

Die Spieler werden's verkraften. 390.000 Mark kann jeder italienische Kicker für den Titelgewinn einstreichen, 125.000 brächte der immer noch für die Deutschen. Typisch: 73 Prozent der Bundesbürger halten das für zuviel, 16 Prozent glauben gar, die Spieler sollten sich zum Nulltarif ins Zeug legen. Kein Wunder, daß die Jungs aus der Bundesliga lieber in Ländern ihrer Berufung nachgehen, wo sich die Leute einen feuchten Dreck kümmern um die Einkünfte ihrer Helden. Die Vereinigten Arabischen Emirate waren zum Beispiel allein von der Qualifikation ihrer Spieler so beeindruckt, daß jedem vorab schon 300.000 Mark aufs Konto wanderten.

Ganz zu schweigen von Südkorea, dessen Fußballchef auch der Daewoo-Unternehmensgruppe vorsteht, wo bereits für olympische Goldmedaillen Leibrenten in beträchtlicher Höhe ausgelobt waren: Allein das Überstehen der Vorrunde brächte 1,7 Millionen Mark pro Mann. Trotzdem, auch die sollen nicht vergessen werden, bei denen eine rote Karte schon an die Substanz ginge: 8.000 Devisenrubel, rund 24.000 Mark ist der Titelgewinn für einen sowjetischen Kicker wert, da will jede Grätsche sehr gut überlegt sein.

Aber die gewinnen ja sowieso nicht. Sagen die Quoten der englischen Buchmacher. 3:1 zahlen die für Italien, gefolgt von den Niederlanden (4:1), Brasilien (4,5:1), BRDeutschland (6:1) und Argentinien/England (11:1), vom Geheimtip der taz-Redaktion, Uruguay, will keiner was wissen. In Europa jedenfalls, denn zu Hause bei den - um mit Heribert Faßbender zu sprechen - „Urus“ glauben 30 Prozent der Leute fest an einen Erfolg.

Und hier? 26 Prozent vertrauen auf Franz Beckenbauer und seine Männer - 63 und 52 sind die Zahlen aus Brasilien und Italien. Defätisten oder Realisten, diese Deutschen?