Sieg am Tiber

■ Warum Deutschland Fußball-Weltmeister werden muß

War Kohls Sauseschritt zur Einheit am Ende doch zu langsam? Kommt die Fußball-Weltmeisterschaft für Deutschland nicht zu früh? Hätte nicht die Sozial-, Umwelt- und Währungsunion auf jeden Fall bis zum Stichtag der Fußball-WM stehen müssen, um die dadurch freiwerdende Wucht teutonischen Urgefühls rechtzeitig und hochdosiert direkt in die Kickerwaden der Beckenbauer-Mannen zu transferieren, wissend, daß im Angesicht der völligen Gleichwertigkeit der großen Fußball -Heroen allein das mentale Gerüst der Mannschaften und ihr emotionales Sein über die Titelvergabe entscheidet? Falsches Kanzler-Timing mithin?

Nur spitzfindige Beamtenseelen können die wenigen Tage, die zwischen WM-Eröffnung und Währungsunion liegen, als ernsthafte Bremse für die neu erwachte Lendenkraft von Matthäus & Co betrachten. Ein Grundpotential der Beflügelung ist da, schon in den Vorbereitungsspielen war der Inbrunst -Zugewinn augenfällig. Unvergessen die bebende Brust des säbelbeinigen Littbarski beim Hymnen-Klang. Dazu 80 Millionen gedrückte Daumen und der neue Jahreswirtschaftsbericht von wahrhaft dynamischer Schubkraft. Der Background stimmt.

Und die Dramaturgie hat weitere Stimulanz-Injektionen in petto. Nach den mühelosen Vorrunden-Spielen gegen die von Nationalitätskonflikten schwer gebeutelten Jugos (3:1) und den Trainingsspielen gegen Koka-Kolumbien (4:1) und die Wüstensand-Kicker Vereinigte Emirate (5:1) sowie einem leichten Sieg im Achtelfinale (2:0) fällt das Viertelfinale direkt auf den Tag der Wiedervereinigung. Das Halbfinale läuft am Mittwoch „danach“, das Endspiel schließlich am ersten gesamtdeutschen Sonntag. Was kann da noch schiefgehen? Eine zweite Triebkraft kommt hinzu. Die 'FAZ‘ hat sauber herausgearbeitet, daß der Urtrieb der Deutschen von jeher der Zug gen Süden war. Dort lag die Erfüllung romantischer Sehnsüchte. Dort streichelte eine überreiche Sonne die blonde Stirn, um ihr Grandioses zu entlocken. Und jetzt das Endspiel in Rom, ausgerechnet Rom!

Erinnerungen an 1954 sind vor dem Anstoß in Italien unvermeidlich. Auch damals kam der Titelgewinn für Herbergers Team nicht aus heiterem Himmel, sondern war eingebettet in das deutsche Wirtschaftswunder, den eigentlichen Vater des Sieges. Eine geniale Intuition hat das Deutsche Fernsehen jetzt zu langen Rückblicken auf die glorreichen Tage von Bern veranlaßt. Die Parallelen sind unübersehbar. Nur eine Kleinigkeit war anders: Herberger hatte 1954 einen Fritz Walter, Max Morlock, Horst Eckel und Helmut Rahn! Beckenbauer spielt 1990 mit Stefan-lauf-schnell -weg-Reuter. Aber das sind ja nur Kleinigkeiten.

Manfred Kriener