Verbündete lassen UdSSR nicht fallen

Der Warschauer Pakt in intensiver Reformdiskussion / Sein letztes Stündlein hat jedoch noch nicht geschlagen  ■  Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Wie geht es weiter mit dem Warschauer Pakt? Als sich gestern die Vertreter der sieben Mitgliedsländer in Moskau zusammensetzten, stand nicht nur die „deutsche Frage“, sondern das Bündnis selbst zur Disposition. Als „politisch überholt“ sieht der ungarische Ministerpräsident Jozsef Antall das östliche Verteidigungsbündnis an, denn die politische Lage in Europa habe sich so grundlegend verändert, daß es keinen Grund mehr für die Aufrechterhaltung des Bündnisses gebe. Deshalb sollte der militärische Bereich des Paktes bis 1991 aufgelöst werden.

Sicherlich war der Vorschlag Antalls der weitestgehende Antrag während der gestrigen Gipfelkonferenz der sieben Mitgliedsstaaten. Ist aber die Fragestellung, die Antall dem Gipfel auferlegte, bei seinen Kollegen aus Bulgarien, der CSFR, der DDR, Polen, Rumänien und Ungarn auf Sympathie gestoßen? Jedes Land Ostmitteleuropas - sieht man einmal von den der sowjetischen Führung nahestehenden Regierungen in Rumänien und Bulgarien ab, deren Außenpolitik in dieser Frage noch wenig Konturen aufweist - hat zwar inzwischen Vorstellungen über die Reform des Bündnisses entwickelt. Aber so radikal wie Antalls Position sind sie nicht. So fuhr Vaclav Havel mit „neuen Gedanken“ nach Moskau, die auf das Zusammenschmelzen der beiden Bündnisse in Europa hinzielen. Havel sieht im Einklang mit Ungarn und Polen in der Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschlands in der Nato keinen Sündenfall, doch setzt er mit seiner Argumentation einen anderen Akzent als Antall. Er bezieht die Reform der Nato in seine Vorstellungen über eine neue Friedensordnung in Europa mit ein. Polens Außenminister Skubiszewski hat schon Zustimmung für diese Position signalisiert. Enthält sie doch eine Dimension, auf die die polnische Außenpolitik schon seit einigen Monaten drängt: Es müssen Schritte in Richtung gesamteuropäische Strukturen gegangen werden, die nicht nur auf die Auflösung der Militärblöcke zielen, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich wirksam werden.

Havels Vorschläge bilden eine Brücke zur sowjetischen Position, die der Nato weder in Deutschland noch in Europa die Vorherrschaft überlassen will, aber für die Entwicklung neuer gesamteuropäischer Sicherheitstrukturen offen ist. „Eine Isolierung der UdSSR kann nur schädlich für uns sein“, betonte im Vorfeld des Treffens auch CSFR-Außenminister Dienstbier. Mit seinem am Mittwoch gemachten Vorschlag eine Sicherheitszone bestehend aus DDR, CSFR und Polen zu bilden, signalisierte auch DDR-Außenminister Meckel Rücksichtnahme auf die sowjetischen Sicherheitsinteressen. Eine militärische Überlegenheit Deutschlands müsse ein Trauma für die Sowjetunion sein. Angesichts dieser Diskussion hat für den Warschauer Pakt noch nicht das letzte Stündlein geschlagen. Zwar ist die Reform der Befehlsstruktur schon fast beschlossene Sache - der Oberbefehlshaber des Paktes ist nämlich gleichzeitig stellvertretender sowjetischer Verteidigungsminister - und auch der Rückzug der Sowjettruppen wird forciert werden.

Doch zeichnet sich ab, was Dienstbier so ausdrückte: „Es ist besser zwischen zwei Staatengruppen, der Nato und dem Warschauer Pakt, über die Abrüstung zu verhandeln als zwischen 35 Staaten.“ Die Bündnispartner wollen die Sowjetunion nicht allein im Regen stehen lassen.