Gorbatschow und de Maiziere im Zwist

■ Warschauer Pakt und Nato tagten zeitgleich / Genscher: Gesamtdeutsche Wahlen spätestens bis 13. Januar

Moskau/Turnberry (ap/dpa/taz) - Die einen tagen in Moskau, die anderen in einem Nest in Schottland. Und dazwischen liegt Deutschland. Die deutsche Frage stand im Mittelpunkt der zeitgleichen Treffen der Militärbündnisse Ost wie West. In seiner Eröffnungsrede sprach der sowjetische Präsident Gorbatschow vom Warschauer Pakt als einem politischen Faktor, der das Gleichgewicht in Europa fördere. Die historischen Verpflichtungen beider Deutschlands gegenüber beiden Militärbündnissen könnte nach seiner Ansicht am besten dadurch eingehalten werden, daß das künftige vereinigte Deutschland assoziiertes Mitglied in Nato und Warschauer Pakt werde. DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere widersprach dem. Hätte man eine „gründlich reformierte Nato“, die auf ihre bisherige Strategie der flexiblen Antwort und der Vorneverteidigung grundsätzlich verzichte - dann könne das vereinte Deutschland mit einem militärischen Sonderstatus des heutigen DDR-Territoriums der Nato in einer Übergangszeit angehören. Der Warschauer Pakt bekräftigte, man wolle keine Auflösung des Bündnisses, sondern eine Transformation in eine „temporäre Organisation“, die später in einer neuen gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur aufgehen solle.

Die Nato blieb zu Beginn ihrer Außenministertagung in Turnberry bei der Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands in der westlichen Allianz. Der Brite Hurd antwortete ungewollt auf de Maizieres Ideen, indem er bekräftigte, daß die Nato ihre „militärische und atomare Strategie“ der Entwicklung in Europa „anpassen“ müsse, was aber heiße, daß man auch weiterhin eine „vernünftige Mischung nuklearer und konventioneller Streitkräfte in Europa“ brauche. Diesen Standpunkt wird Staatschefin Thatcher bei ihrem heutigen Besuch in Moskau sicherlich vertreten. Bundesaußenminister Genscher betonte in Turnberry nochmals, was mittlerweile auch in der Nato rhetorischer Allgemeinplatz ist: Moskau dürfe nicht isoliert werden. Die Nato sei entschlossen, ihre „neue Rolle“ wahrzunehmen und habe eine positive Grundhaltung zu Ausbau und Institutionalisierung des KSZE-Prozesses. Seiner Meinung nach seien der weiterentwickelte KSZE-Prozeß, die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Nato und Warschauer Pakt, die konventionelle Abrüstung (VKSE) sowie die verbindliche Festschreibung von Polens Westgrenze der äußere Rahmen einer deutschen Vereinigung. Informell hieß es, Genscher habe sich für gesamtdeutsche Wahlen bis spätestens 13. Januar ausgesprochen.

AS Siehe auch Seiten 9 und 10