: Rechtsdebatte im Magdeburger Prozeß
Bezirksgericht lehnte neue Ermittlungen im Prozeß um Kindertötungen ab / Antrag der Verteidigung zielte auf Anwendung westdeutscher Rechte / Staatsanwalt plädierte für Reform ■ Aus Magdeburg Heide Platen
Der Vorsitzende Richter des 1.Strafsenats am Bezirksgericht Magdeburg, Uwe Richard, entschied sich am Donnerstag für die gerade Linie. Gegen das Wernigeroder Ehepaar F. wird in der kommenden Woche weiter verhandelt werden. Beide sind angeklagt, in den Jahren 1984 bis 1988 ihre fünf neugeborenen Kinder getötet zu haben. Das Gericht lehnte einen Antrag der Verteidigung ab, das Verfahren zur neuen Ermittlung an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben.
Für einen Verhandlungstag war der Prozeß wegen Mordes und Totschlags zu einem politischen Forum um die Zukunft der DDR -Justiz geworden. Rechtsanwalt Ulrich Wolff hatte für seine Mandantin, Margitta F., reklamiert, daß sie bei ihren ersten Vernehmungen Anfang 1989 nicht hinreichend über ihre Rechte als Beschuldigte belehrt und vor allem nicht darauf hingewiesen worden sei, daß sie die Aussage verweigern könne. Außerdem habe sie nicht die Möglichkeit gehabt, vom Anfang des Verfahrens an einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
Am Vormittag des dritten Verhandlungstages befragte Richter Richard Margitta F. ausgiebig zu ihren Vernehmungen und ließ außerdem eine - fast unverständliche - Tonbandaufzeichnung einer Vernehmung der Angeklagten bei der Volkspolizei abspielen. In der Tat ist dort eine rechtliche Belehrung zu hören. Diese sei allerdings, monierte Rechtsanwalt Ulrich, für die meisten Beschuldigten unverständlich und weise nicht ausdrücklich auf deren Rechte hin. Nach einer langen Beratung entschied das Gericht, daß bisher noch das „prozessuale und materielle Recht der DDR“ gelte. Danach seien die Ermittlungen ordnungsgemäß erfolgt. Die Angeklagte habe auch eine Liste von Verteidigern vorgelegt bekommen. Ein ausdrückliches Aussageverweigerungsrecht sei im DDR -Gesetz bisher nicht vorgesehen. Das Gericht sei in seiner Entscheidung an geltendes DDR-Recht gebunden: „Rechtsicherheit besteht nur, wenn jederman weiß, was geltendes Recht ist.“ Die Rechtsbelehrung der Vernehmungsbeamten allerdings entspreche gerade nur „den Mindestanforderungen der Strafprozeßordnung“. Richard: „Sie hätten detaillierter und intensiver sein müssen.“ Am Sachverhalt allerdings ändere das nichts. Deshalb sei der Antrag der Verteidigung als „unbegründet“ zurückzuweisen. Auch Staatsanwalt Bohmeier hatte vorher auf die Anwendung des DDR-Rechts gedrängt, auch wenn die Regelungen „aus heutiger Sicht nicht das sind, was man sich als Recht der Verteidigung vorstellen kann“. Er hoffe aber, daß alle Beteiligten in der Zukunft willens seien, „mit ganzem Herzen eine Erneuerung des Strafrechts vorzunehmen“.
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