Umstrittenes BRD-Ausländergesetz für die DDR?

Ein Ausländergesetz a la Bonn würde auch für ImmigrantInnen in der DDR schwerwiegende Nachteile bedeuten / Regierungskommission verhandelt in den nächsten Tagen über das neue Gesetz / Übergangsverfassung soll Asylrecht mit Gesetzesvorbehalt enthalten  ■  Aus Berlin Andrea Böhm

Denn sie wissen nicht, was sie tun. In diesem Fall wußten die meisten Abgeordneten der CDU und der FDP im Bonner Bundestag wirklich nicht, wofür sie da die Hand hoben, als im April das neue Ausländergesetz verabschiedet wurde. über 200 Seiten umfaßt das neue Gesetz - ein Paragraphendschungel, in dem sich selbst viele JuristInnen nicht mehr zurechtfinden, von Bundestagsabgeordneten ganz zu schweigen. Den Abgeordneten der Volkskammer würde es kaum anders gehen, falls das bundesdeutsche Ausländergesetz in der DDR übernommen wird. Eben das ist zu befürchten, denn ein vom Innenministerium in Berlin vorgelegter Entwurf entspricht fast wortgleich dem umstrittenen Gesetzeswerk aus Bonn (die taz berichtete). Dabei lautete der Auftrag des Ministerrates eigentlich, ein eigenständiges Ausländergesetz für die DDR zu erarbeiten. Ob das Plagiat wieder in der Schublade oder gar im Papierkorb verschwindet, wird sich in den nächsten Tagen zeigen, wenn sich die zuständige Regirungskommission mit Vertretern mehrerer Ministerien sowie der Ausländerbeauftragten des Ministerrats und des Berliner Magistrats wieder trifft. Die beiden Ausländerbeauftragten haben sich ebenso wie Außenminister Meckel gegen eine Übernahme des West-Gesetzes ausgesprochen.

Dieses tritt (vorläufig) nur für die Bundesrepublik und West-Berlin am 1. Januar 1991 in Kraft - trotz massiver Proteste von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Bürgerrechtsorganisationen, ImmigrantInnen und Flüchtlingsgruppen. Die Kritik konzentriert sich vor allem auf folgende Punkte:

Das Aufenthaltsrecht ist zusätzlich kompliziert und mit Fußangeln für die ImmigrantInnen versehen worden. Zwar haben laut neuem Gesetz ImmigrantInnen erstmals einen Rechtsanspruch auf einen sicheren Aufenthaltsstatus. Diese Hoffnung zerschlägt sich jedoch, wenn die Betreffenden kein unbefristetes Arbeitsverhältnis oder keinen „ausreichenden“ Wohnraum nachweisen können. Wer längere Zeit von Sozialhilfe abhängig ist, dem droht gar die Ausweisung. Ausgewiesen werden kann auch, wer laut Gesetzestext „die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (...) gefährdet“ - ein Gummiparagraph, der nicht nur von JuristInnen scharf kritisiert wird.

Der Datenschutz wird fast vollständig aufgehoben. So dürfen Ausländerbehörden alle möglichen Daten von ImmigrantInnen und Flüchtlingen erheben - ohne bestimmten Anlaß. MitarbeiterInnen öffentlicher Stellen (Ämter, Schulen, Kindergärten etc.) verpflichtet das neue Gesetz zur Denunziation: Sie werden gehalten, eventuelle Gesetzes-und Regelverstöße von ImmigrantInnen zu melden.

Die asylrechtlichen Bestimmungen werden verschärft. So müssen in Zukunft auch Flüchtlingskinder unter sechzehn Jahren Paß und Visum für die Einreise in die Bundesrepublik vorweisen. Eine Flucht, und damit auch das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl für politisch Verfolgte, wird damit unmöglich gemacht - politisch Verfolgte haben bekanntlich wenig Chancen, bei Botschaften nach einem Visum anzustehen.

Die betroffenen ImmigrantInnen in der Bundesrepublik haben das Ausländergesetz als Ausgrenzungs- und Kontrollinstrument kritisiert. Für sie wiegt das um so schlimmer, als die Bundesregierung weiterhin leugnet, was nicht mehr zu leugnen ist: Die Bundesrepublik ist ein Einwanderungsland, der Großteil der 4,5 Millionen nicht-deutschen BürgerInnen empfindet sich nicht als „Ausländer“ sondern als Immigranten. Mittlerweile sind die Kinder und Enkelkinder derjenigen herangewachsen, die in den 50er und 60er Jahren als sogenannte „Gastarbeiter“ aus Italien, Griechenland, Spanien, Portugal, Marokko und der Türkei ins Land geholt wurden.

In der DDR stellt sich die Situation allein zahlenmäßig ganz anders dar. Rund 180.000 nicht-deutsche BürgerInnen leben hier, und etwa 40.000 haben hier ihren ständigen Wohnsitz. Über 90.000 sitzen im Moment zwischen allen Stühlen, denn sie wurden im Rahmen bilateraler Wirtschaftsverträge aus Vietnam, Mozambique, Angola oder Kuba faktisch für einige Jahre ausgeliehen. Die von Existenzängsten geplagten Betriebe wollen die ausländischen Werktätigen lieber heute als morgen vor die Tür setzen. Vertragswidrige Entlassungen sind bereits an der Tagesordnung. Besonders für diese Menschen versuchen die Ausländerbeauftragten beim Ministerrat, Almuth Berger, und beim Magistrat der Stadt Berlin, Anetta Kahane menschenwürdige Übergangsregelungen zu finden. In der Diskussion ist zum Beispiel ein Bleiberecht für diejenigen, die nicht mehr nach Hause wollen. Würde das bundesdeutsche Gesetz bereits in der DDR gelten, wäre dies nicht mehr möglich.

Auf gesetzgebender Ebene betritt man Neuland. Ein Asylrecht existiert in der Republik faktisch nicht. Allerdings ist in der Übergangsverfassung vorgesehen, ein Grundrecht auf Asyl miteinzubeziehen - im Unterschied zur Bundesrepublik allerdings mit Gesetzesvorbehalt. Eine Ausweisung konnte nach bislang geltendem Recht ohne Angabe von Gründen und ohne gerichtliche überprüfung erfolgen; dem Antrag auf „ständige Wohnsitznahme“ wurde in der Regel nur nach Heirat mit einem/r DDR-BürgerIn gewährt. Für die Einbürgerung waren, wie das Beispiel der vor zwei Tagen in Berlin verhafteten ehemaligen RAF-Angehörigen Susanne Albrecht zeigt, besondere Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit notwendig.

Daß dieser Zustand einer Revision bedarf, ist auch im Ministerrat unumstritten. Kommende Woche wird sich erweisen, ob die Mitarbeiter im Berliner Innenministerium nur etwas mißverstanden haben, als sie für ihren Entwurf einfach das bundesdeutsche Gesetz abschrieben. Möglicherweise ist im Vorgriff auf die Vereinigung der Einfluß des Bonner Amtskollegen Schäuble sehr viel stärker als von außen sichtbar. Denn der will sich „sein“ Ausländergesetz in einem Gesamtdeutschland nicht durch irgendwelche fortschrittlicheren Korrekturen der DDR -Ausländerbeauftragten umändern lassen.