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Höslein, Höslein in der Hand

■ „Der Fetischist“ im Packhaus. Star Karl-Michael Vogler spielt Gast. Zum Weglaufen

Nix wie raus hier, sagt der Blick meiner Tochter, die neben mir im „Packhaus“ sitzt. Und hinter uns, als hätten sie darauf gewartet, stehen zwei Männer im Dunkeln auf, verlassen, wie wir, fluchtartig diesen Ort, an dem sich das „Stargastspiel“ von Karl-Michael Vogler nun ohne uns seinem Ende entgegenschleppt, entgegenstammelt, zerhackt vom Plingklongeling Cornelia Monskes, die mit sechs filzbeklebten Klöppeln ein Mordsxylophon betupft. Wer wagt es, Packhausbetreiber oder „Star“, zu bieten uns solchen Schund?

„Der Fetischist“ sei eine „hintergründige Parabel“, verfaßt von Michel Tournier, „einem der bedeutendsten französischen Romanautoren der Gegenwart“, dessen Stil „geprägt“ sein soll „durch versöhnlichen Humor und sanfte Ironie.“ Ja, liegt es jetzt an der Übersetzung? Liegt's an der unvorbereiteten Wurschtigkeit des Stars, der dauernd den Faden verliert, obwohl er unentwegt das Manuskript zu Hilfe nimmt? Oder handelt es sich bei dieser armseligen Veranstaltung um eine Fehlinterpretation des Wortes „Gastspiel“ von Karl-Michael Vogler, der irrtümlich meint, er müsse einen „Gast“ im Wirtshaus „spielen“ und uns mit verklemmten

Landsknechtsanekdoten überziehen? „Sie, die Hinterteile der pommerschen Bauersfrauen, ooooochhh, ich sage Ihnen“, schwallt es aus seinem Mund, und im viertelsbesetzten Packhaus regt sich tatsächlich von irgendwo ein mattes Kichern.

Ein Psychiatriepatient sei dieser unselige Monologisierer, der uns, den „Normalen“, den „Spiegel vorhalte“, auf daß wir sehend würden, wie koppheister das alles geht mit dem Normalsein. Doch einen so pumperlnormalen Durchschnitts -Schweinigeltext hörte ich nie einem Schauspielermund entfahren. Zu schweigen davon, daß der verrückte Martin ja „die Kunst des Selbstgesprächs“ gelernt haben soll, er aber das Publikum fortwährend anquatscht wie ein drittklassiger Zotenreißer: Wie seine nachmalige Gattin Antoinette als junges Mädchen bei einer Soldatenparade den Slip verliert, worauf Soldat Martin vom Pferd stürzt und erst wieder erwacht, als Antoinette ihm die nasse Stirn abwischt - mit dem Taschentuch, „das heißt, was sie für das Taschentuch hielt, denn sie hatte ja ihr Höschen in die Tasche gesteckt, Sie, ich sage Ihnen...“ - ääähhx, mit diesem Kaliber kartätscht der Star aufs Publikum.

Dann kommt die Hochzeitsnacht - wüüüööörchch: Antoinette auf dem Hochzeitslager, „nackt, Sie, wie ein Stück Fleisch beim Metzger“ - kurz: Martin treibt's, nachdem er sich im Dorfgasthaus betrunken - „was sag ich: besoffen“ - hat, mit Antoinettchens Wäsche. Ein Fetischist eben, der uns den Rasier-Spiegel vorhält und weitermacht im Text: Aus der Kriegsgefangenschaft flieht er in einem Schmutzige-Wäsche -Laster, und Sie, ich sage Ihnen, was er da über stinkige Männerwäsche zu erzählen weiß, Sie, also, da bleibt kein Schlüpfer trocken. Vor lauter Geschnüffel hat Martin dann wohl vergessen, vom Laster abzuspringen - und Essig war's mit der Flucht. Flucht? Aber ja: „Flucht“ flehen die Augen meiner Tochter. „Flucht“ nicke ich zurück, und als die Frau mit der großen Jacke wieder zu ihren Klöppeln greift, springen wir beherzt vom Wäsche-Wagen, schwänzen den Zotenunterricht und gehen ins nächste Schnoor-Cafe. Und Sie, was soll ich Ihnen sagen: dort haben wir uns betrunken, ach was: besoffen an unserer Freude über die freigewordene Zeit. Sie, das wurde noch ein schöner Abend.

Sybille Simon-Zülch

Samstag und Sonntag, 20 Uhr.

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