Völker, kocht Marmelade!

■ Damit die Früchte nicht auf den Feldern vergammeln, greifen die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zur Selbsthilfe / In Glindow kostet ein Kilo selbstgepflückte Beeren 3 Mark 80 (Ost), in Ostberliner Läden ein Kilo 5,90 Westmark

Potsdam. Notstandsmaßnahmen in der DDR-Landwirtschaft sind für Ost- und Westkonsumenten gleichermaßen lohnend. Zum Beispiel bei senga sengana:Soweit das Auge reicht Erdbeeren über Erdbeeren, reif und süß. Die Früchte der LPG -Glindow am Glindower See nahe bei Potsdam müssen nur noch geerntet werden. Die Produktionsgenossenschaft hat sich dieses Jahr etwas Neues ausgedacht, um die Beeren loszuwerden. Zum ersten Mal seit Bestehen der LPG dürfen die Konsumenten selber auf das Feld und Seite an Seite mit der Erdbeerbrigade die Früchte selber pflücken. „Selbstpflückaktion“ heißt die Kampagne - hinaus aufs Feld, und große Plakate im Werdener Raum laden dazu ein.

Im Prinzip gab es jedes Jahr die Möglichkeit, für den eigenen Vorteil Erntehelfer zu spielen, nicht nur in Glindow, sondern im gesamten Werdergebiet. Die diesjährige Aktion unterscheidet sich allerdings von den vergangenen Pflückaktionen. Früher wurden die Interessierten an sogenannten „Stellplätzen“, in Potsdam oder Babelsberg frühmorgens abgeholt, mit dem Bus zum Feld gefahren, und dort arbeiteten Mann und Frau gegen einen Leistungslohn. Am Ende des Tages bestand dann die Möglichkeit, den Lohn in Erdbeeren umzurubbeln. Bei der LPG Marquardt bei Potsdam gilt diese Regelung noch. Der Stundenlohn schwankt um die fünf Mark (Ost), das Kilo Erdbeeren kostet anschließend 4 Mark 20.

In Glindow hingegen wurde der Ernteumweg über den Leistungslohn abgeschafft. Die Erdbeerbrigade diskutierte die dieses Jahr zu erwartende große Ernte unter Berücksichtigung der Konkurrenz von Westerdbeeren im Berliner Raum und unter besonderer Berücksichtigung der „Koordinierungsprobleme Produktion-Vertrieb-Handel“. Die Brigade beschloß, das Feld teilweise zu räumen. Bis zu 1.000 fleißige Menschen können sich gleichzeitig, täglich von 6 bis 14 Uhr, an den Wochenenden bis 13 Uhr, auf den rund 80 Hektar großen Feldern bücken und die Früchte einsammeln. Die Mühe lohnt sich. Das Kilo kostet für den Selbstpflücker 3 Mark 80, der Erntekorb, falls nicht mitgebracht, zwei Mark und Freude wird überall sein. Eine Erdbeer-Brigadistin: „Jede Hand, ob Ost oder West, ist uns eine große Hilfe.“

Wem diese Mühe zu groß ist, braucht auf die Erdbeeren trotzdem nicht zu verzichten. In den Kühllagern der Städte der Umgebung wie Plötzin, Jeserig, Krielow und Phoeben nahe des märkischen Schwielowsees werden täglich, außer samstags, von 10 bis 19 Uhr die Früchte direkt von den LPGs verkauft. Dort kosten zwei Kilo neun Mark einschließlich des Korbes.

Hintergrund der ganzen Selbsthilfe der LPGs ist, daß in den vergangenen Wochen der Großhandel die ländlichen Erzeugnisse nicht abnahm, die LPGs auf ihrer Ware sitzenblieben. Im April mußte der Porree untergepflügt werden, im Mai schoß der Blumenkohl ins Kraut, in den Berliner Kaufhallen gab es anstatt frischem Gemüse, gewachsen in der DDR, nur holländischen Kohl gegen Westmark. Auch jetzt werden die heimischen Erdbeeren in den Einzelhandelsläden und HO -Filialen verdrängt von den EG-gerecht genormten Importen aus dem Westen. Auf der Leipziger Straße gibt es nicht einen einzigen Laden, der Früchte aus Werder verkauft. Angeboten werden hingegen von fliegenden Händlern aus West-Berlin Erdbeeren aus Frankreich und Italien - das Kilo zu 5 Mark 90 (West)!

aku