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■ „Das Erbe“ von Isabella Mamatis im Zan Pollo Theater

Am Anfang war das Chaos. Das Leben eines Menschen beginnt in einem Klumpen Blut, aus dem dann Kinder werden, die Frauen zu Müttern machen. Und nur durch Kinder wird die Liebe schön, und ohne Kinder hat die Ehe keinen Sinn. Keine Kinder - ein Strafe. Mißgeburt - die Frau hat während der Schwangerschaft etwas Schreckliches gesehen. Sagt niemandem, daß sie schwanger ist, die Nachbarin könnte eine Hexe sein... Isabella Mamatis hat versucht, in diesem Stück das „uralte, nicht gerade unkomplizierte Thema des Erbes Frau -Mutter-Frau“ zu behandeln. Weder „Zimmertheater“ noch „Kammerspiel“ will die Aufführung sein und ist auch wirklich keines von beiden.

Vorspiel: Am Anfang war die Bühne leer, zwei Stühle standen drauf und ein kleiner schwerer Hocker, auf tritt eine alte Dame in Kostüm und eleganten Schuhen, schleppt den Hocker durch den Raum und beäugt das Publikum mit dem während des langen Lebens gewonnenen Blick des Mißtrauens.

Teil eins: Herein vier froschgleich bewegliche Frauen, fleischfarbener Gymnastikdress, schwarz bestrapst, kleine schwarze Helme auf den Köpfen, klappernde Holzsandalen unter den Füßen. Und eine große, stimmgewaltige Frau in langem Gewand, eine straffe, listige, glattgekämmte Amme, die für Aufklärung sorgt: erstes Blut, erste Liebe, geheimnisvolle Waschungen am Fluß zur Schönerhaltung der Geschlechtsorgane, Anweisungen zur Formierung der Mütterlichkeit. Sie ist um kein Wort verlegen, sieht die Dinge klar. Während die Ammenfrau ihre Kommentare und Erzählungen halb spricht, halb singt, beschwörerisch und effizient zugleich das weibliche Erbe dieser Welt verwaltet, hört die alte ihr mürrisch und aufmerksam zu. Die Froschfrauen, aufgestellt in einer Riege zwischen den beiden, illustrieren mit ihren Körpern das Gesagte: Augen rollen, Beine auf, Beine zu, starrer Blick, Schenkel schlagen, Füße knallen, salutieren, und kommentieren so das glatte Geschwätz der die Töchter aufklärenden Tante, indem sie die Anweisungen ironisch durch den Körper brechen.

Teil zwei: Verwandlung. Lichtwechsel. Flugs steht die ganze weibliche Familie auf der Bühne, lauter schöne Frauen, ganz in Schwarzrot. Die Mutter hat sieben Kinder. Die gute Mama. Mama sagt: Ihr geht mir alle ganz furchtbar auf die Nerven. Ich schlage euch tot! Vielen Dank, bitte sehr. Kampf der Mutter mit den Kindern, Kampf der Geschwister mit der Mutter, der Schwestern, jede ist ganz eine für sich und könnte zugleich all die anderen sein. Ein familiärer Reigen auf der Bühne, kurze, aneinandergereihte und/oder nebeneinandergestellte Momente. Verzicht auf Handlung. Dies ist keine Geschichte, dies sind Zustände. Die Mutter: Wie schön wäre es gewesen, wenn ich keine Kinder gehabt hätte. Die Töchter haben hierzu ihre eigenen Ansichten. Kampf um Hierarchien und Gleichberechtigungen untereinander. Ich, sagt die eine, ich war zuerst da, erst dann kamen die anderen. Die andere will sieben Kinder, sich ganz zu füllen, die dritte ist sich selbst Kind genug, die vierte soll (bittebitte!) zurück nach Hause kommen, aber nicht in diesen unmöglichen Turnschuhen, die fünfte verlor ihren Kinderwunsch, als sie den Papst in München aus der Limousine herauswinken sah („Der Papst kann gar keine Kinder kriegen...“), die sechste ruft ihre alte Liebe zurück, die siebte hat eine Negerpuppe, der hat sie eines Tages die Haare abgeschnitten („Ich durfte auch nie lange Haare haben“), die achte, neunte, die zehnte: Alle sanktionieren sich gegenseitig, überprüfen aneinander ihre Wünsche, Phantasien, Träume und Erinnerungen. Zu siebt im Kombi an die Adria, hinten auf den Koffern sitzend, und Fanta gab's. Alle müssen endlich dünner werden und träumen doch: vom Leberwurstbrot! So schwatzhaft, so dumm, so hysterisch, so fett! Neid, Mißgunst und rüde Rachephantasien.

Schlußbild: Rückzug in die familiäre Solidarität, in den Mutterschoß: Die alte Dame auf dem Hocker, die anderen, der Reihe nach eine im Schoß der anderen. Stille. Dann die Mutter: Was bin ich froh, daß meine Kinder keine Kinder haben. Ich habe keine Angst vorm Sterben, wir sterben aus, ich sterbe aus. Was bin ich froh. Und dann, sich selbst korrigierend: Pfui, ja wir werden keine Kinder haben, weil es vernünftig ist.

Die Töchter verlassen nach einer letzten mütterlichen Streicheleinheit eine nach der anderen langsam den Raum, um die Alte für eine letzte große Reflexion allein zurückzulassen: Das Schlimme am Altwerden ist ja nicht das Altwerden. Aber da guck‘ ich in den Spiegel und denke: na nu? Das ist ja komisch, das bin ja ich. Das ist ja komisch...

In einer gelungenen Textcollage, in der auch Medea selbstverständlich nicht hat fehlen dürfen, versucht Isabella Mamatis „viele kleine Wahrheiten in kurzer Zeit“ zu präsentieren, denn „Wahrheit ist kurz“. Einen direkten Angriff gibt es dabei nicht, sie vertraut ganz und gar auf Körpersprache und auf die durch einzelne Textstellen ausgelösten Assoziationen beim Publikum. Texte, Musik, Sprache und Körper werden dabei gleichgewichtig und in gegenseitiger Ergänzung eingesetzt. Die Darstellerinnen, großartig in ihrer Körperbeherrschung und Sprechtechnik, ziehen dabei sämtliche Register über Lachen, Weinen, Schreien, und Singen bis hin zur absoluten Hysterie.

Ihre Verzweiflungsausbrüche haben durch ihre bewußte Übersteigerung immer auch einen Distanz schaffenden Effekt. Ein wenig verloren wirkt lediglich die ruhige, gelassene, ganz in weiß gekleidete hochschwangere Dame, die, auf einen Stuhl sitzend und ihren schönen Bauch präsentierend, mit beachtlicher Seelenruhe das Geschehen an sich vorüberziehen läßt, um gegen Ende mit einem klangvollen, allzu sanften Lied zu debütieren.

hoppe

Weitere Vorstellungen vom 9.6. bis 8.7., jeweils Mi-So, 21 Uhr im Zan Pollo Theater