„Polizist, das ist da drüben ein richtiger Beruf“

■ taz-Gespräch mit dem Ostberliner Polizeipräsidenten Bachmann / Nach Lehrgangsausflug ins Bundesland Bayern war er beeindruckt vom Ausbildungsstand der Westpolizei / Auch Videos von den Polizeieinsätzen um die WAA Wackersdorf gehörten zur „Weiterbildung“

taz: Herr Polizeipräsident, Sie waren bis vor zwei Wochen „außer Landes“?

Dirk Bachmann: Ich hatte die Gelegenheit, zusammen mit einer Gruppe leitender Polizisten aus der gesamten DDR auf Einladung des bayrischen Staatsministeriums ein sogenanntes Fortbildungsseminar besucht. Wir waren rund 20 Mitarbeiter aus dem Innenministerium und aus den Bezirken. Dieses Seminar kam zustande auf der Grundlage einer Absprache zwischen Herrn Diestel und dem bayrischen Innenminister, Herrn Stoiber.

Bekommt Ost-Berlin also demnächst eine bayrisch orientierte Volkspolizei?

Nein, nein; das Seminar wurde zwar vom bayrischen Staatsministerium getragen - es diente jedoch nicht dazu, das bayrische Polizeimodell an uns heranzutragen. An den Veranstaltungen und Gesprächen waren Vertreter von fast allen Bundesländern beteiligt. So konnten wir uns mit der Arbeitsweise, der Organisation und den Strukturen der Polizeien - sowohl der Bundespolizei als auch der Länderpolizeien - vertraut machen.

Also keine „bayrische Lehrstunde“?

Auf gar keinen Fall.

Wie war denn die Aufnahme durch Ihre Westkollegen?

Gut. Die Atmosphäre dort war sehr wohltuend. Man war sehr offen und kollegial.

Haben Sie bei diesem ersten Besuch auch schon praktische Erfahrungen für Ihre Polizeiarbeit mit nach Berlin nehmen können - so zum Beispiel zur Bekämpfung der neuerdings alle 14 Tage auftretenden Fußballrandale?

Auch hier haben wir nicht nur an den bayrischen Erfahrungen teilhaben können, sondern auch an denen von Nordrhein -Westfalen oder Hamburg, um nur einige Beispiele zu nennen. Das war recht beeindruckend. So sahen wir unter anderem auch Videoaufzeichnungen von Wackersdorf und das Vorgehen der Polizei dort.

Was ist Ihnen sonst aufgefallen?

Der hervorragende Ausbildungsstand der Polizisten, die innere Haltung zu ihrem Polizeidienst - ich möchte das mal als Berufsbild und Berufsethik bezeichnen. Neu war für mich, daß die Seelsorger in der Polizei sehr aktiv sind und offensichtlich eine sehr progressive Rolle spielen. Neu war für mich auch der hervorragende Organisiertheitsgrad der Polizei in den Bundesländern und der Ausstattungsgrad dagegen sind wir wirklich noch im Mittelalter.

Gibt es noch andere Unterschiede zur DDR-Polizei?

Beeindruckt hat mich das hohe Bildungsniveau und der sehr gründliche Ausbildungsweg der Kollegen dort. Polizist - das ist da drüben auch ein richtiger Beruf; das hat uns ja in der Vergangenheit immer gefehlt. Zweieinhalb bis drei Jahre Ausbildung schaffen eine solide Basis. Mir fiel auch auf, daß die Verbindung zu den Bürgern auf recht solider Basis steht; auch die Verbundenheit mit der Heimat, dem eigenen (Bundes-)Land ist erwähnenswert.

Wie soll es Ihrer Meinung nach hier in Berlin weitergehen? Wie sollen Randale, wie sie jetzt regelmäßig nach Fußballspielen auftritt, oder solche Ausschreitungen wie am 20.April künftig verhindert werden? Kann man sogenannten Extremismus, wie er bei uns auftritt, überhaupt wirksam bekämpfen?

Man darf meines Erachtens Links- und Rechtsextremismus nicht in einen Topf werfen. Man muß da äußerst behutsam sein, wenn man das Wort „Extremismus“ gebraucht. So haben wir bis heute keine exakten Erkenntnisse und Analysen über diese Gruppen gerade aus dem rechten Spektrum. Wir tun uns als Polizei da noch schwer, eindeutig zu definieren: Hier wird Gewalt aus eindeutig politischen Motiven heraus verübt, und dort eben nicht.

Sie sagten gerade, daß man Rechts- und Linksextremismus nicht in einen Topf werfen darf...

Schon bei den sogenannten Rechtsextremen sollte man differenzieren: erstens zwischen den wirklich gefährlichen, wie zum Beispiel den Anhängern der „Republikaner“ oder der hiesigen „Nationalen Alternative“ und dann den anderen, die, sagen wir mal, ihrem jugendlichen Übermut zu sehr freien Lauf lassen, ohne aber direkt politisch motiviert zu sein.

Sind die „Fußballrandalierer“ politisch gesteuert?

Auszuschließen ist das nicht. Es liegen uns darüber aber noch keine gesicherten Erkenntnisse vor.

Aber das ganze Auftreten der Randalierer weist doch darauf hin, daß es hier eine lenkende Hand im Hintergrund geben muß.

Ja, das sehe ich auch so. Zumal sich wirklich so etwas wie eine Taktik entwickelt, mit der die Rowdies ganz gezielt unsere Maßnahmen umgehen wollen.

Regelmäßig werden nach Fußballspielen besetzte Häuser oder andere „linke“ Objekte angegriffen.

Wir nehmen den Schutz dieser Objekte sehr ernst - nur ist das für uns im Moment noch sehr aufwendig. Wir sind auch mit den linken Autonomen im Gespräch - das ist übrigens sehr wohltuend, was sich da entwickelt. Insbesondere hat sich da Frau Brabant von der Vereinigten Linken sehr engagiert und hat auch viel vermittelt.

Haben Sie auch versucht, mit den Rechten ins Gespräch zu kommen?

Ja, aber das war absolut sinnlos. Die wollten einfach keinerlei Dialog.

Nochmal zurück zu der Fußballrandale. Wie will die Polizei in Ost-Berlin künftig solche Ausschreitungen verhindern?

Auch wenn viele vielleicht anderer Meinung sind - wir brauchen unter anderem eine rechtliche Grundlage, die es ermöglicht, schon im Vorfeld solcher Ereignisse präventiv zu wirken, so wie es ja in West-Berlin auch gang und gäbe ist.

Also Westberliner Polizeirecht für Ost-Berlin?

Wenn es der öffentlichen Sicherheit wirklich dienlich ist, warum denn nicht?

Wie sollte das konkret denn aussehen?

Ich bin zum Beispiel vehement dafür, ein Vermummungsverbot einzuführen. Wenn man keine Handlungen vorhat, die sich außerhalb oder am Rande der Legalität befinden, besteht auch kein Grund, sich zu vermummen.

Welche Maßnahmen will die Ostberliner Polizei noch ergreifen, um der künftigen Randale Einhalt zu gebieten?

Vor allem durch den Aufbau eines wirksamen Aufklärungssystems. So werden wir zum Beispiel wieder Foto und Videokameras einsetzen - nach den Oktoberereignissen letzten Jahres waren wir da ja ein wenig verunsichert und haben davon ja kaum Gebrauch gemacht. Ich denke aber, daß dies legitime polizeiliche Hilfsmittel sind. Auch sind wir dabei, eine gesonderte Einsatzgruppe zu schulen, die dann als Festnahme- und Eingreiftrupp zum Einsatz kommen wird.

Eine Art Elitetruppe?

Naja, man könnte sie vielleicht als SEK („Sonder-Einsatz -Kommando“, Anm. d. Red.) bezeichnen. Diese Form hat mir übrigens in Bayern sehr imponiert. Auch wenn manch einer da skeptisch ist - die Frage ist doch immer: Wofür oder wogegen wird so ein Trupp eingesetzt?

Die SEK wurde im Westen ja unter anderem auch dazu eingesetzt, besetzte Häuser zu räumen. Steht das in Ost -Berlin nun auch bevor?

Bei den uns bekannten über 80 besetzten Häusern sehe ich im Moment keinen Handlungsbedarf - zumal mit einem nicht geringen Teil der Besetzer bereits Instandsezungs- und Nutzungsverträge mit der Kommune bestehen.

Wenn nun aber ein gerichtlicher Beschluß zur Räumung besteht und Sie räumen müssen - wie lange wird ihr gutes Verhältnis zu den Autonomen dann noch Bestand haben?

Selbst dann, wenn es zu einem solchen Beschluß kommen sollte, heißt das ja nicht, daß man nun gleich alle zur Verfügung stehenden polizeilichen Mittel einsetzt. Auch hier sollte zuerst der vernünftige Dialog mit den Betroffenen stehen.

Und Sie glauben, das funktioniert?

Es wird ja kein grundsätzliches Vorgehen gegen Hausbesetzer geben. Und in den jetzt auch nur zu vermutenden Einzelfällen setze ich doch auf die Kraft der Vernunft.

Die Ostberliner Polizei befindet sich zur Zeit in der Umstrukturierung, neue Ämter - so das Kriminalamt - wurden geschaffen, neue Derzernate ins Leben gerufen. Wie sieht eigentlich die derzeitige Personallage der Polizei aus?

Angespannt. Ziemlich angespannt.

Da benötigt man doch sicher reichlich qualifiziertes Personal - wieviel ehemalige Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit sind eigentlich in Ihrem Bereich untergekommen?

Insgesamt 506 Personen. Dabei handelt es sich aber grundsätzlich um Mitarbeiter, die sich in keiner Art und Weise kriminell betätigt haben. So haben wir einige junge Kriminalistikstudenten übernommen, die nach Beendigung ihres Studiums bei uns eingegliedert werden. Außerdem haben wir Leute der Stasi-hausinternen Brandschutzbekämpfung, sowie die Leute, die einzig dafür zuständig waren, für Protokollfahrzeuge die Ampeln auf Grün zu stellen. Desweiteren haben wir keine Abteilungen geschlossen übernommen. Auch von den Bereichen Personenschutz und Terrorismusbekämpfung des ehemaligen Minsteriums für Staatssicherheit wurde bei uns niemand übernommen.

In letzter Zeit wurden Stimmen laut, die heftige Kritik an Ihrem Dienstherrn, Innenminister Diestel, übten. Das Volkspolizeirevier 11 in Mitte hatte sich daraufhin in einem offenen Brief mit ihm solidarisiert, auch die Polizeigewerkschaft hat sich hinter den Minister gestellt. Wie steht die Ostberliner Polizei insgesamt zu Herrn Diestel?

Lange Zeit - und das hängt nicht nur mit den Oktoberereignissen des letzten Jahres zusammen, fühlten wir uns als Volkspolizei doch ziemlich hintangestellt; Unsicherheit machte sich breit. Es gab Phasen, in denen sich um uns praktisch keiner mehr kümmerte und in unseren Dienststellen eine ziemliche Unsicherheit herrschte. Und die ging mit dem Auftreten von Herrn Diestel tatsächlich vorüber. Persönlich verstehe ich mich mit ihm gut, er würde mir zum Beispiel nie in meine Arbeit hineinreden, er erkennt die Kompetenzen der Polizeiführung an. Doch, ich glaube schon, daß er der Volkspolizei ein Stück ihrer Identität zurückgegeben hat.

Herr Bachmann, Sie haben vorhin ganz fasziniert über die bundesdeutsche Polizei gesprochen. Gibt es Ihrer Meinung nach jedoch auch Dinge, die die DDR-Polizei nach der deutsch -deutschen Wiedervereinigung in eine gemeinsame Behörde einbringen könnte?

An Technik und Ausbildung sicherlich weniger. Aber wir haben durchaus auch etwas mitzubringen. So sehe ich zum Beispiel das System der Transportpolizei, so wie sie bei uns existiert, als übernahmefähig an. Auch das System der Abschnittsbevollmächtigten könnte man durchaus mitnehmen.

Als letzte Frage: Die Berliner Wiedervereinigung wird wohl schneller voranschreiten als der deutsch-deutsche Einigungsprozeß im großen. Wie sehen Sie bei einem Zusammenwachsen der Berliner Polizei Ihre Zukunft: Dirk Bachmann als Gesamtberliner Polizeipräsident oder nur als Stellvertreter von Herrn Schertz?

Also, ich glaube nicht, daß ich das eine oder das andere werden könnte. Aber meine Polizeilaufbahn möchte ich natürlich auch nach der Vereinigung fortsetzen.

Interview:

Olaf Kampmann/Dirk Wildt