PGHs: Arbeiten im rechtsfreien Raum

Handwerksgenossenschaften in der DDR: Ein Statut haben sie nicht mehr, umwandeln müssen sie sich noch Aber sowohl die Vorschriften als auch die Beratungsmöglichkeiten fehlen / Begehrlicher Blick aufs PGH-Konto  ■  Von Dietmar Bartz

Wieviele der einst mehr 3.000 Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGHs) in ein paar Wochen noch existieren werden, ist unsicher. Klar ist nur, daß es deutlich weniger sein werden als bisher. Die Gründe dafür sind vielfältig. Mit den anderen Betrieben und Betriebsformen in der DDR haben sie gemeinsam, daß West-Konkurrenz und Überkapazitäten, Unerfahrenheit mit der Marktwirtschaft und geänderte Kostenstruktur für viele das „Aus“ bedeuten werden.

Doch damit nicht genug. Während etwa die zur Umwandlung anstehenden Großbetriebe ihr firmenrechtliches Schicksal in die Hände der Treuhandanstalt legen, müssen sich die PGHs selbst entscheiden, welche Unternehmensform sie für die Zukunft wählen wollen - und sie müssen diese Entscheidung auch umsetzen. Eine noch viel größere Bedeutung hat aber der begehrliche Blick aufs vermeintlich große Geld: Unverhohlen fordern die GenossInnen in vielen PGHs die Auflösung der Fonds, um sich als schlichte LohnarbeiterInnen mit einem fünfstelligen Mark-Betrag im Rücken in die Risiken der neuen Marktwirtschaft zu stürzen. Diese Möglichkeit haben die Belegschaften in VEBs in dieser Form nicht.

Daß der weitverbreitete genossenschaftliche Sektor in der DDR zu den „Errungenschaften des Sozialismus“ gehöre, die es in die neue Zeit hinüberzuretten gelte, wird in den PGHs überhaupt nicht gerne gehört. Zu viele PGHs sind Anfang der siebziger Jahre zwangsweise gebildet worden, zu groß ist der Anteil der GenossInnen, die eine weniger verantwortliche Lohnarbeit anstreben, zu sehr wurden die Jahrespläne „einfach abgenickt“.

Nicht alle PGHs stehen vor der Auflösung, vor allem ältere nicht. Weil die Besitzer der Vorgängerbetriebe meist längst gestorben oder die niedrigen Entschädigungszahlungen nicht anfechtbar sind, besteht keine Gefahr, daß die PGH auseinandergerissen wird, urteilt Erich May, Vorsitzender eines Kfz-Service in Berlin-Prenzlauer Berg. Wenn dann auch noch die Auftragsbücher voll sind oder abzusehen ist, daß das Gewerbe eine Zukunftschance hat, besteht für gemeinsamen Optimismus durchaus Anlaß.

Auch wenn die einzelnen PGHs, was die innerbetriebliche Demokratie angeht, in der Vergangenheit ihrer Bezeichnung „Genossenschaft“ oftmals wenig Ehre machen konnten, bieten die rechtlichen Strukturen den GenossInnen grundsätzlich gute Chancen, über die eigene Arbeit und die hergestellten Produkte und Dienstleistungen selbst zu beschließen. Und schließlich ist auch der Umgangston in den PGHs anders geworden. Während in den VEBs viele einst knüppelharte Kader jetzt als ebenso knüppelharte ManagerInnen kommandieren, sind die PGH-Vorstände bei unpopulären Beschlüssen oder unübersichtlichen Problemen wieder auf Überzeugungsarbeit angewiesen.

„Aber derzeit sind wir im Vakuum“, klagt Peter Leue, der Vorsitzende der PGH Lackmetall in Berlin-Weißensee; die 140 Beschäftigten leben überwiegend von Beschichtungsaufträgen aus der Industrie. Einen Bärendienst hat die Modrow -Regierung den PGHs angetan, als am 19. März, einen Tag nach der Volkskammerwahl, die Umwandlungsverordnung für die Produktionsgenossenschaften in Kraft trat. Denn damit wurde das alte PGH-Musterstatut außer Kraft gesetzt; das Genossenschaftsgesetz von 1898 trat wieder in Kraft, und die PGHs müssen nun entscheiden, ob sie zu einer GmbH oder einer eG, einer „eingetragenen Genossenschaft“, werden wollen.

Einige PGH-Mitgliederversammlungen haben das Musterstatut von sozialistischen Formulierungen „entrümpelt“ und anschließend bestätigt - damit ist ihnen die Eintragung als Genossenschaft sicher. Andere haben zwar die nötige Zweidrittel-Mehrheit nicht erreicht, arbeiten aber trotzdem danach. Wieder andere haben die Mustersatzung von 1973 einfach beibehalten - und sind sich noch im unklaren darüber, welche gesetzlichen, vor allem steuerlichen Vorteile sie haben, wenn sie sich gegen eine GmbH entscheiden. Es gibt noch keine einzige Durchführungsverordnung, und auch die Bestimmungen des Staatsvertrages lassen viele Fragen offen. Angesichts der unübersichtlichen Rechtslage wollen immer mehr GenossInnen aussteigen. „Hätten wir klarere Verhältnisse, wäre die Fluktuation deutlich geringer“, seuft Harry Kindel, Leiter einer Kfz-PGH in Pankow, in deren sechs Betriebsteilen 85 Beschäftigte arbeiten. Eine „leichte Mehrheit“ sei für das Fortbestehen; Tendenz: abnehmend.

So ist etwa völlig unklar, unter welchen Bedingungen die Mitgliederversammlung einer PGH ihre „unteilbaren Fonds“ vor allem die Guthaben auf den Geldkonten - freigeben kann. Sollen austrittswillige Mitglieder nur ihren Genossenschaftsanteil oder auch einen Anteil am Wert der Gesamt-PGH oder an deren Wertzuwachs erhalten? Wie wird dann die Dauer der Mitgliedschaft berechnet? Unter der Hand, war zu erfahren, haben einige PGHs, in denen Einvernehmen über dir Selbstauflösung bestand, die Kontengelder längst unter ihre GenossInnen gebracht.

Sonderliche Unterstützung aus dem Westen erfahren die GenossInnen dabei nicht. Das ist dem simplen Umstand gedankt, daß sie, wenn sie den westlichen Genossenschaftsverbänden beitreten würden, dort innerhalb von Tagen die Mehrheit haben würden. Andererseits hat ein vom Land Nordrhein-Westfalen unterstütztes Beratungsbüro in Dessau innerhalb weniger Monate ein Informationsnetzwerk für mehr als hundert PGHs aus Sachsen-Anhalt aufbauen können. Und in Berlin ist am Dienstag ein Verein gegründet worden, der gegenüber Ministerrat und Volkskammer zugunsten des Genossenschaftsgedankens lobbiieren soll.

Beratungsmöglichkeiten bietet auch der „Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V.“, Am Hofgarten 20, BRD-5300 Bonn 1