Das Panorama der Parteien

■ Neue Parteien, „historische“ Parteien der Zwischenkriegszeit und Ex-Blockflöten

In der CSFR werden die beiden Kammern der Bundesversammlung gewählt - eine zwischen Tschechen und Slowaken paritätisch zusammengesetzte und eine proportional zur Bevölkerung - und die jeweilige Länderkammer.

Jeder Bürger hat also drei Stimmen. Wer in die Bundesversammlung einziehen will, muß in einer der beiden Republiken mindestens fünf Prozent der Stimmen gewinnen. Diese Sperrklausel hat zu einer Reihe von Vernunftehen in Form von Koalitionen geführt, aber auch dazu, daß einige Parteien nur in einer der beiden Republiken kandidieren. Wie in den anderen Ländern Osteuropas auch rivalisieren Neugründungen, wiederbelebte Parteien der Zwischenkriegszeit und Ex-Blockflöten, die zum Teil ebenfalls „historische“ Parteien sind. Hier die wichtigsten Parteien und Koalitionen:

-Das Bürgerforum und sein slowakischer Koalitionspartner, das Komitee „Öffentlichkeit gegen Gewalt“. Dieses lockere Bündnis aus Parteien, Initiativen und Individuen enstand in der Novemberrevolution und war ihr eigentlicher Träger. Sein Führungskern entstammt der demokratischen Bewegung, vor allem der Charta 77. Heißer Favorit in Böhmen und wahrscheinlicher relativer Sieger in der Föderation.

-Die Christliche und Demokratische Union, ein Bündnis zwischen der allzeit den Realsozialisten dienstbaren Volkspartei, der neugegründeten Christlich-Demokratischen Bewegung der Slowakei unter Jan Canogurski, die wahrscheinlich die stärkste Partei der Slowakei werden wird, und den kleinen Christdemokraten Böhmens, die ursprünglich auf keinen Fall mit der Ex-Blockflöte gehen mochten und es dann doch taten, weil der Herr Pfarrer es wollte.

-Die Agrarier samt einer Reihe ländlicher Koalitionspartner. In der ersten Republik die stärkste Rechtspartei, nach 1945 nicht mehr zugelassen. Viele der Agrarier gingen zu den Kommunisten und von dort nach dem November wieder in ihre alte politische Heimat. Das Bündnis wird unter den LPG-Bauern viele Stimmen gewinnen und eventuell - wie der Demokratische Bauernbund in der DDR - zu ihrer Interessenvertretung werden.

-Eine Koalition neuer und alter demokratischer Parteien neoliberaler Orientierung, der „Freie Block“.

-Bündnisse der verschiedenen Roma-Gruppierungen und der ungarischen Minderheit in der Slowakei.

-Die potentiellen Rechtsaußen der Vereinigung für die Republik und der Republikanischen Partei. Letztere führt eine offen ausländerfeindliche Sprache.

Als Einzelparteien treten an:

-Die Kommunistische Partei, die es ablehnt, ihren Namen zu ändern, weil das sowieso nichts helfe. Sie hat fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren und ist durch den noch nicht entschiedenen Linienkampf weitgehend paralysiert. Die Partei ist in den Großstädten abgemeldet, verfügt aber über starke Reserven auf dem industrialisierten Land und in der Slowakei.

-Die Sozialistische Partei, in der Zwischenkriegszeit als sozialliberale Organisation die führende Staatspartei, der Präsident Benes angehörte. Später wurde sie Blockflöte, bekam aber 1989 rechtzeitig die Kurve. In Böhmen wird sie knapp über fünf Prozent bekommen.

-Die Sozialdemokratische Partei. Sie hatte ähnlich wie in Ungarn alle Chancen und verspielte sie durch Führungsquerelen. Heute krebst sie um die fünf Prozent. Sie ist die historische Partei der CSFR.

-Last not least die Grünen. Noch im März wurden ihnen zehn Prozent der Stimmen vorausgesagt, womit sie sogar die Kommunisten überholt hätten. Doch trotz großer Sympathien bei weiten Kreisen der Bevölkerung für die „grüne Sache“ und trotz relativ ausgearbeiteter Programmatik ist es ihnen nicht gelungen, die ökologischen Initiativen und Organisationen für sich gewinnen. Auch fehlt es ihnen an Geldmitteln und bekannten Persönlichkeiten.