Das Lächeln des kleinen Verführers

■ In der NDR-Talkshow trieb der sündige Gysi die launige Runde zum kollektiven „Red Out“

Es war der relativ unverdächtige Jürgen Habermas, der kürzlich bemerkte, daß in diesen Tagen schon der Anblick eines linken Intellektuellen die freundlichen Damen und Herren vom Mittelstand in Mob zu verwandeln droht. Derartigen Kontrollverlust konnte der geneigte Zuschauer erneut am Freitag abend in der NDR-Talkshow beobachten. Der Ausbruch des Kreises war um so beeindruckender, da Moderatoren und Gäste zuvor in solch kraftloser Geselligkeit umher-talk-elten, daß man befürchten mußte, der Spannungsabfall würde das Bild auf dem Fernsehschirm zusammenbrechen lassen.

Der Pianist und die Diseuse, die Prominentenwirtin und die Volksschauspielerin, der Stadtparlamentsvorsteher und die Volkskammerpräsidentin, alle waren sie gut Freund. Ihr Leben und Lassen war eitel Warmherzigkeit, ihr vergangen und gegenwärtig Tun ein mildes Lächeln und eine sanfte Passion. Frau Bergmann-Pohl durfte sogar erleben, wie ihre pathologische Naivität und ihr „Huch, nun bin ich gar Politiker!„-Gehabe als „Menschlichkeit“ verschätzt wurde.

Das alles waberte dahin, bis PDS-Chef Gysi das Wort angetragen wurde. Doch schon die knappe Sachfrage nach den Parteifinanzen zündete den Kurzschluß im Biedersinn der Versammelten. Von da an funkten nur noch simple Gleichsetzungen durch die Gegenrede, von denen PDS gleich SED noch die charmanteste war.

Und selbst ekzessiver Knoblauchgenuß mochte Volksmutter Meysel nicht davon bewahren, eine so dümmliche Tautologie wie „Leid ist Leid“ zu verkünden. Anläßlich eines Gysi'schen Entwurf sozialistischer Politikperspektiven mußte auch der Moderator Schreiber („Sie sind wohl ein Träumer, ja?“) schrillen Hohn auswürgen. Man spritzte mit Moralin, geiferte krude Vergleiche (die NSDAP etc.)in die Runde und schlug sich den Königsmantel westlicher Werte um den sauberen Leib.

Das alles wegen ein paar tausend Genossen in Deutsch-Ost Demokrasiland, die sich nicht gleich verstreuen und ihr Dasein verfluchen wollen? Die ganze Tobsucht nur wegen unklarer Vermögensverhältnisse, deren Bereinigung die halbtote Partei eh schon proklamierte? Es scheint erstaunlich, wieviel Hitze selbst behäbige Gemüter entwickeln, wenn jemand ihren Grundüberzeugungen trotzen will. Was Unrecht war, muß Unrecht bleiben. Der Erfolg der Kohl'schen Machtstrategie hat das Volk der Bundesrepublik in eine Konformität getrieben, die ihren eigenen Intentionen widerspricht. Noch der letzte kritische Journalist entwickelt Besatzermentalität, wenn es darum geht, die DDR -Vergangenheit ad absurdum zu führen. Pure Rechthaberei aber kann es doch nicht sein, die Leute mit europäischer Allgemeinbildung dazu treibt, sich jeder differenzierten Einsicht in das Funktionieren eines andersnormierten Staatswesens zu enthalten? Aus den Fehlern anderer kann man schließlich nicht nur lernen, daß man es selbst am besten macht.

Das Volk der DDR hat unter selbstloser Aufgabe seines eigenen staatlichen Zusammenhalts den Bundesbürgern die Chance gegeben, durch den Zusammenschluß der beiden Deutschländer etwas sozialinnovatives Potential zu tanken. Inge Meysel und ihre Millionen Kinder sollten diese Chance zum Lernen und Verstehen nicht durch unfruchtbaren Haß verspielen.

Stefan Schwarz