Der erste Bremer „Drogenhilfeplan“ ist da

■ Der neue Landes-Drogenbeauftragte van der Upwich legte erstmals Bremer Situationsanalyse und Perspektiven der Drogenarbeit vor

Mehr Drogenhandel, mehr KonsumentInnen, mehr Verelendung, mehr Tote, - all das konstatiert der erste und langerwartete Bemer „Drogenhilfeplan“, den der neue Landes -Drogenbeauftragte van der Upwich auf 140 Seiten Bericht und Zahlen jetzt vorlegte. Nun ist so ein Drogenhilfeplan nicht einfach eine Statistik mit guten Vorsätzen, sondern ein politischer Eiertanz, der die Vorgaben und Egoismen einzelner Ressorts, dazu verschiedene ideologische Brillen und auch die finanziellen Konkurrenzen um Geld und Ausstattung der Teilbereiche in ein akzeptables Gleichgewicht bringen muß.

Daran gemessen ist der Bericht erstaunlich offen; er bezieht gleichberechtigt Träger und Vereine ein, die gerade nicht den Clean-Ansatz verfolgen, der lange Jahre das einzig herrschende drogenpolitische Bekenntnis war. Van der Upwich informiert erklärt „ideologiefrei“ über die Drogensitiuation in Bremen: über Konsum und Kriminalität, Aids, inhaftierte, wohnungslose, sich prostituierende und von Aids betroffene Junkies, nennt Zahlen und Tendenzen.

Grundlage soll ein „akzepierendes Verständnis“ der Sucht sein, Therapien, vorbedingungslose, „schwellenfreie“ Angebote, Selbsthilfe und Behördeninterventionen sollen nebeneinan

der ihren Platz haben. Die Lage, so das Resümee, hat sich „gefährlich zugespitzt“. Nie gab es so viel so reines Heroin in Bremen, eine Verkaufsoffensive für Kokain wird erst erwartet. Die Preise sind um 50% gefallen, für Neu -KonsumentInnen gift es Gift gatis. Der Bericht geht aus von ca. 1.500 Rauschgift-Abhängigen in Bremen. Unter den Jugendlichen, soweit man das trotz Dunkelziffer überhaupt sagen kann, ist doch kein dramatischer Anstieg festzustellen: Fast alle polizeilich erfaßten ErstkonsumentInnen war über 18 Jahre. Die zugespitzte Lage in einzelnen Stadtteilen (Ostertor, Gröpelingen) erklärt der Bericht mit der enormen Sogwirkung des „Einkaufszentrums“ Bremen auf das Umland. Seit 1986 nimmt die Zahl der Verurteilten Drogenabhängigen leicht ab; viele Bagatell -Delikte werden nach dem Grundsatz „Therapie statt Strafe“ gar nicht erst verhandelt.

1989 gab es die dramatische Zahl von 53 Drogentoten mit einem Durchschnittsalter von 30 Jahren und nach einer rund 7jährigen Drogenkarriere; „1990 ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.“ Der Bericht geht davon aus, „daß in Bremen im Vergleich zu anderen Großstädten besonders viele Drogenabhängige sterben“. Dafür finden sich jedoch keine bremischen Erklärungen.

Da soll eine dreijährige Untersuchung klären helfen und Körperzustände, Lebensgeschichte, Drogenmarkt, chemische Analysen, soziale Bezüge in Beziehung bringen - mit möglichst viel beantragtem Bonner Geld.

Die „zunehmende Wohnungslosigkeit“ bei weit über 100 Junkies wird als „eins der größten Probleme“ benannt, das Recht auf die Sicherung der „materiellen menschlichen Grundbedürfnisse wie Nahrung und Wohnen“ anerkannt: „Niedrigschwellige und schwellenfreie Angebote sind zu schaffen.“ An Maßnahmen gemessen gilt dies jedoch nur für Not-Unterkünfte wie das Übernachtungsschiff 'Outlaw‘, das nach Fertigstellung die BewohnerInnen der jetzigen Notunterkunft in der Roonstraße aufnehmen soll. Das von Teilen der Nachbarschaft bekämpfte Haus soll, aus Rücksicht, für sein Projekt „Betreutes Wohnen für Drogenabhängige“ nur cleane Süchtige aufnehmen dürfen, also gerade nicht nach dem „akzeptierenden“ Konzept des Vereins „Kommunale Drogenpolitik“ vorgehen dürfen.

An der Zahl der 70-90 weiblichen und 30 männlichen Drogen -Prostituierten hat sich wenig verändert. Für die drogenab hängigen Frauen, in besonders verelendeter psychischer und psychischer Lage, müssen und

sollen besondere Hilfen gesucht werden. Anstatt die Frauen kurzfristig aus dem Milieu „herausreißen“ zu wollen, plädiert der Bericht für Maßnahmen „so niederschwellig wie möglich“.

Sucht-Prävention soll künftig umstrukturiert werden. Fünf

neue Teams in Bremen Ost, Süd, Nord, Mitte, West - je eine LehrerIn, eine SozialpädagogIn und eine halbe Schreibkraft sollen in Schulen und Stadtteilen aufklären, fortbilden, koordinieren, vermitteln. Außerdem hat sich der Landesdrogenbeauftragte,

selbst bislang eine Ein-Mann Abteilung, eine SachbearbeiterIn und eine Schreibkraft auf den Wunschzettel geschrieben.

Recht deutliche Zweifel werden gegenüber der Haltung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) angemeldet, die findet, daß „Methadonsubstitition nicht zu den originären Aufgaben der Kassenärzte“ gehört. Hier muß die Sozialhilfe einspringen, bis die KV von der Gesundheitssenatorin umgestimmt bw. die gesetzliche Lage geklärt ist.

Der Drogenhilfeplan erklärt: Der vom Bundesrat beschlossene Gesetzentwurf zum Betäubungsmittelrecht stellt klar, daß die Vergabe von Einwegspritzen nicht strafbar ist. Konsequenzen für die Bremer Knäste werden jedoch hier nicht abgeleitet: Weiterhin nur draußen können sich Junkies anonym mit sterilen Spritzen aus Automaten versorgen bzw. „alt gegen neu“ tauschen; beides führte der Verein 'Kommunale Drogenpolitik‘ in Bremen ein , zunächst staatsanwaltschaftlich verfolgt und von den Behörden ungeliebt.

Die Deputationen werden diskutieren, Finanzierungen müssen in Senat und Bürgerschaft beschlossen weden. Van der Upwich: „Die Umsetzung wird Gradmesser für die Glaubwürdigkeit bremischer Drogenpolitik sein.“ Susanne Paa