Wie lange noch rollt das Bonner Geld nach Berlin?

■ Die Stadt hängt am Subventionstropf / Die Berlinhilfe ist auch in Bonn weiterhin umstritten / Berlinförderung wird sich nach den neuen politischen Gegebenheiten ändern: Die Bonner Rotstiftexperten sind schon am Werk / Der DGB ist für eine Reform der Förderung, die Alternative Liste (AL) für einen „ökologischen Umbaufonds“

Berlin. Wenigstens in einem Punkt sind sich alle Politiker Berlins einig: Die Bonner Hilfsmaßnahmen für Berlin dürfen nicht, wie es die Rotstiftexperten am Rhein meinen, gestrichen werden. Auf jeden Fall nicht sofort und schon gar nicht alle.

Zwei Formen von Hilfsmaßnahmen gibt es, und die seit 1952 und nur deshalb, damit Berlin wirtschaftlich und sozial die (zukünftigen) „Aufgaben als Hauptstadt eines geeinten Deutschlands erfüllen“ kann. Zum einen gab und gibt es die direkten Bonner Subventionen für den Berlinhaushalt. Momentan sind das rund 13 Milliarden Mark oder 50 Prozent des gesamten Haushaltes. Zum anderen gibt es die Förderungsmaßnahmen für die Berliner Wirtschaft, die sogenannte „Berlinförderung“. Diese Berlinförderung beträgt 9,2 Milliarden Mark, einschließlich der 2,9 Millarden Mark Arbeitnehmerzulage, im Volksmund „Zitterprämie“ genannt. Der große Rest von 6,3 Milliarden nennt sich „Unternehmensförderung“. Diese Summe setzt sich zusammen aus Steuerreduktionen für bundesrepublikanische und Westberliner Händler, die in Berlin produzierte Waren kaufen und verkaufen. Nur ein geringer Teil der Berlinförderung fließt in eine direkte Investitionsförderung.

Kratzen wollen die Bonner nicht an der Berlin-Hilfe für den Landeshaushalt, zumindest nicht generell. Die Haushaltsgelder können nur durchgeforstet und umstrukturiert werden. Gespart wird demnächst an den Flugsubventionen von und nach Berlin. Wenn die für dieses Jahr bewilligten 104 Millionen aufgebraucht sind, dann ist Sense mit den billigen Tickets. Eingespart wird nach der Währungsunion auch die Transitpauschale von rund 860 Millionen Mark und die 55 Millionen Straßenbenutzungspauschale an die DDR. Auf Null reduziert werden in den nächsten Jahren ebenfalls die rund 100 Millionen Mark, die jährlich ausgegeben werden, um Krisenvorräte einzubunkern. Die momentane Berlinhilfe reduziert sich also in absehbarer Zeit um rund eine Milliarde Mark - Geld, was an anderen Stellen dringend gebraucht wird, um die nach der Maueröffnung veränderte Infrastruktur zu verbessern.

Gesamtberlin wird teuer

Die Bonner Hilfe für den Berlinhaushalt kann aber auch langfristig nicht abgeschmolzen werden, im Gegenteil. Das zukünftige Gesamtberlin wird teuer werden. Finanzsenator Meisner rechnet für ganz Berlin mit einem zukünftigen Etatvolumen von 41 Milliarden Mark (bisher Ost-Berlin: 5,5 Milliarden). Selbst wenn die Einnahmen proportional steigen würden, gäbe es immer noch eine Deckungslücke von mindestens 21 Milliarden, die, woher denn sonst, aus Bonn fließen müßten. Sollten die Ostberliner Arbeitnehmer, wie von Fachleuten gefürchtet, überproportional arbeitslos werden oder einen Lohn unterhalb der Steuerfreigrenze verdienen, dann wird die Deckungslücke noch erheblich größer sein.

Einsparen wollen die Bonner Finanzexperten aber die Berlinförderung, und diese Absicht stößt in Berlin auf Widerstand. „Wir sind nach der Vereinigung mitten drin in der früheren DDR und werden durch deren Probleme erheblich unter Druck kommen“, meinte kürzlich Finanzsenator Meisner, „in dieser schwierigen Übergangsphase dann eine Förderung abzubauen, auf die ja die Betriebe eingestellt sind, hieße, in einer Problemzeit noch ein Problem draufzusatteln“. Wie viele Jahre aber die Berlinförderung des Bundes noch notwendig sein wird, hängt ganz wesentlich von der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt ab, und die wird unterschiedlich eingeschätzt. Bundesfinanzminister Theo Waigel ist optimistisch und glaubt, die Berlinförderung ab 1991 in sieben Jahren abbauen zu können. Der Berliner Senat ist da skeptischer und hat ausgerechnet, daß eine schrittweise Reduzierung erst ab 1993 beginnen könnte und erst im Jahre 2000 alle Umsatzsteuervergünstigungen, Investitionszulagen, Abschreibungspräferenzen, Finazierungsförderungen und Arbeitnehmerzulagen enden können.

DGB gegen Kürzungen

Unmut gibt es aber nicht nur über die Bonner Pläne, die Berlinförderung alsbald zu reduzieren, Unmut gibt es schon seit langem über die praktizierte Form der Berlinförderung. Der DGB hält es für verfrüht, die Förderung ab 1991 schrittweise abzubauen und plädiert für eine Strukturreform, nach beschäftigungspolitischen Kriterien. „Nicht Abbau des Fördervolumens, sondern ziel-und zeitadäquate Neudefinition“, heißt es in einem Positionspapier vom Februar dieses Jahres. Mit dieser Forderung beruft sich der DBG auf die Koalitionsvereinbarung vom März 1989, in der grundsätzlich festgelegt wurde, die Berlinförderung auf eine „zukunftsträchtige Wirtschaftsstruktur, auf ökologisches Wirtschaften und auf die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze auszurichten“. Das Förderungsprogramm hätte viel gekostet, aber die „gravierenden strukturellen Probleme der Berliner Industrie haben eher noch zugenommen“. Der Trend „weg von der verlängerten Werkbank hat nicht stattgefunden, das System blieb auf eine standardisierte Massenproduktion ausgerichtet (...) und hat jene Unternehmen relativ stark begünstigt, die vergleichsweise wenig den für die Stadt wünschbaren Aktivitätsstrukturen entsprechen“.

Zum gleichen vernichtenden Ergebnis kam im Juni 1989 auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das in einem Gutachten über die Wirkung der Wirtschaftsförderung zu dem Ergebnis kam, daß sie „ineffizient“ sei und daher „geändert“ werden müsse. Auf Grundlage der DIW-Untersuchung fordert der DGB daher, daß das „Mittelvolumen der Berlinförderung trotz veränderter politischer Rahmenbedingungen grundsätzlich aufrechterhalten werden muß, daß die Förderung aber sich stärker als bisher auf die Beschäftigungsbeiträge und die Wertschöpfungsbestandteile der Firmen“ ausrichten soll. Im Klartext: Die Förderung soll nicht nach dem Gießkannenprinzip über alle Firmen gleichermaßen ausgeschüttet werden, sondern zukunftsorientierte, arbeitsplatzschaffende Produktionsverfahren und die Herstellung von ökologischen Produkten sollen besonders gefördert werden. Nicht gerüttelt werden dürfe an der achtprozentigen Arbeitnehmer -Berlinzulage, auf keinen Fall, solange die Durchschnittslöhne den bundesrepublikanischen Löhnen hinterher hinkten.

Mit der Beibehaltung der „Zitterprämie“ kann sich der DGB mit der AL einig wissen. Trotzdem gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden. Der DGB möchte die Berlinförderung, auf die grundsätzlich jeder Anspruch hat, reformieren und umstrukturieren und zusätzlich einen „Innovationsfonds“ für eine ökologisch orientierte Strukturpolitik. Ergänzt werden muß das ganze Paket durch ein arbeitsplatzschaffendes Investitionsprogramm für den Berlin-Brandenburger Raum.

Ökologisch fördern

Die AL hingegen will, daß die Berlinförderung nach dem Antragsprinzip „umgeschichtet“ wird, daß die Umsatzsteuerpräferenzen zugunsten „eines ökologischen Infrastrukturfonds umgewidmet“ werden. Das heißt, das Instrument Berlinförderung selber wird zum „ökologischen Umbaufond“. Nicht jeder kann sich aus diesem Geldtopf bedienen, sondern nur die Unternehmen - und dies auch nur auf Antrag -, die bestimmte ökologische, arbeitsplatzschaffende und gesellschaftlich sinnvolle Förderungskriterien erfüllen. In einem für den Koalitionsausschuß erarbeiteten Papier heißt es zwar, daß „eine Reform der Berlinförderung“ von der AL „gefordert“ wird, im Kern geht es aber um ein neu zu erarbeitendes „Wirtschaftsförderungsgesetz für Berlin und die DDR“. Argumentationshilfe von unerwarteter Seite erhält die AL vom ehemaligen Finanzsenator Günther Rexrodt. Auch er propagiert eine „modifizierte Ausweitung der Berlinförderung auf die DDR“. Von Ökologie ist bei ihm allerdings nicht die Rede, sondern ausschließlich von „Anschubfinanzierung“ für das wirtschaftliche Wachstum in der DDR.

Anita Kugler