Zum Geburtstag auf Hochglanz

■ Pflegepersonal des Urban-Krankenhauses kann der „glänzenden“ 100-Jahr-Feier nichts abgewinnen / Beschäftigte organisieren für heute eigene Veranstaltung

Kreuzberg. Die offizielle 100-Jahr-Feier des Kreuzberger Urban-Krankenhauses fiel gestern weitgehend ins Wasser. Aufgrund des strömenden Regens wurde das geplante Volksfest vor den Toren der Klinik abgesagt und lediglich die Eröffnung der „Alfred-Döblin-Patientenbibliothek“ in den Innenräumen des Krankenhauses konnte stattfinden.

Die Beschäftigten im Krankenhaus hätten sowieso nicht viel von der Feier gehabt. „Vor lauter Arbeit kriegt man doch gar nichts mit“, erklärte eine Krankenschwester gegenüber der taz. Als Trostpflaster hatte die Krankenhausleitung das Personal mit einem Präsent beglückt: eine Informationsbroschüre auf Hochglanzpapier über „100 Jahre Urban-Krankenhaus“, sowie einen Taschenrechner und Kugelschreiber mit Urban-Emblem. „Das können sie sich auch vors Knie nageln“, entrüstete sich ein Pfleger, „statt für die Feier soviel Gelder zu verschwenden, soll das Krankenhaus lieber mehr Stellen schaffen!“

Überstunden sind in dem 1.334-Betten-Haus an der Tagesordnung. Die neurologische Station, die zur Zeit mit sechs Vollzeitbeschäftigten und einer Halbtagskraft drei Schichten abdecken muß, ist bei weitem kein Einzelfall. Wie es in einem offenen Brief des Personalrats an die Krankenhausleitung heißt, sei es üblich, „im Falle eines personellen Notstands auf einer Station überhaupt nicht mehr zu fragen, ob noch Patienten aufgenommen werden können.“

Verschlechtert habe sich auch die Situation der Ärzte: Sie erhielten in der Weiterbildung zum Teil nur befristete Arbeitsverträge oder müßten für wenig Geld „als Praktikanten beweisen, daß sie als Ärzte geeignet sind“. Auf manchen Stationen werden sogenannte „Gastärzte“ beschäftigt: Sie erhalten keinen Pfennig Lohn, werden aber voll eingesetzt.

Wie der Personalrat bemängelt, seien weder er noch die Beschäftigten in die Festvorbereitung mit einbezogen worden. Unverständlich ist für die Personalratsvorsitzende Cramer auch, daß bei dem Fest kein Bezug zwischen Krankenhaus und Bezirk hergestellt wurde. „Statt den Anlaß für Überlegungen zu nutzen, wie die Verknüpfung von ambulanter und stationärer Versorgung in diesem von hohem sozialen Elend geprägten Bezirk verbessert und verstärkt werden kann“, findet am Mittwoch ein Symposium über Hunger und Appetit statt, „natürlich mit Abendessen für die geladenen Gäste!“

Um die tagtäglichen Schwierigkeiten des Krankenhauses auf den Punkt zu bringen, organisieren die Ärzteschaft und der Personalrat heute ihre eigene Veranstaltung. Ab 15.30 Uhr zeigen sie im großen Konferenzsaal der Klinik den Film „Der Versuch zu überleben“ von Johann Feindt, der 1983 drei Wochen Arbeitsalltag in der Rettungsstelle des Urban -Krankenhauses auf Zelluloid festhielt. Daran anschließen soll sich eine Diskussion, eingeladen wurden unter anderem Vertreter des Vereins SO 36, des kreuzberger Sozialamtes, der Initiative zum Erhalt des Marienkrankenhauses und der Großen Freiheit e.V.

maz