Nato für einen Schrank voll Dollar?

■ Für Nato-Mitgliedschaft 20 Milliarden Dollar an Moskau? / Kohl und Bush für Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands / de Maiziere in Washington / Meckel: Sowjets bleiben noch sieben Jahre / Eppelmann: Auflösung der militärischen Strukturen des Warschauer Paktes

Bonn/Washington (afp/dpa) - Die Bundesregierung ist nach den Worten von Außenminister Genscher zu einer engen wirtschaftlichen und finanziellen Zusammebarbeit mit der Sowjetunion bereit. Einen Bericht des 'Spiegel‘, wonach die UdSSR angedeutet habe, sie erwarte eine „massive“ wirtschaftliche Hilfe als Gegenleistung für eine mögliche Billigung der vom Westen gewünschten Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands, wollte Genscher nicht bestätigen.

Nach dem Bericht soll der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse Genscher inoffiziell mitgeteilt haben, daß insgesamt 20 Milliarden US-Dollar nötig seien, um den Zusammenbruch der sowjetischen Wirtschaft abzuwenden. Genscher sprach sich ferner dafür aus, beim KSZE -Sondergipfel im Herbst neue Strukturen zu schaffen, die die Sowjetunion voll in die internationale und europäische Entwicklung einschließen.

In Ost-Berlin ist am Samstag vormittag die Beamtenrunde zur Vorbereitung der nächsten 4+2-Tagung zusammengetreten. Die politischen Direktoren der Außenministerien der vier Siegermächte beraten mit DDR-Staatssekretär Misselwitz und dem bundesdeutschen Ministerialdirektor Kastrup über die Tagesordnung der zweiten Außenministerrunde zu den außenpolitischen Aspekten der deutschen Vereinigung am 22. Juni in Ost-Berlin. Dabei soll es um die Frage der Grenzen, den Berlin-Status und die Ablösung der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten durch eine abschließende völkerrechtliche Regelung gehen.

Vom Nato-Gipfel Anfang Juli in London muß nach den Worten von Bundeskanzler Kohl eine positive Botschaft ausgehen, die der veränderten Lage in Europa Rechnung trägt. Er sei sich mit US-Präsident George Bush darin einig, daß dabei den Sicherheitsinteressen der Sowjetunion Rechnung getragen werden müsse, sagte Kohl auf dem Rückflug von Washington, wo er am Freitag mit Bush zusammengekommen war. Die Bündnissysteme müßten sich „in einer vernünftigen Weise“ aufeinanderzubewegen.

Kohl und Bush hatten sich nach dem Treffen optimistisch geäußert, daß es in der Frage der Bündniszugehörigkeit eines vereinten Deutschland zu einer Einigung mit der Sowjetunion kommen werde. „Für uns beide ist ganz klar, daß ein wiedervereinigtes Deutschland Teil der Nato sein muß“, sagte Kohl. Eine Singularisierung oder Neutralisierung Deutschlands könne auf keinen Fall akzeptiert werden, da dies die „politische Statik“ in Europa von Grund auf verändern würde.

DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere (CDU) ist zu seinem viertägigen Arbeitsbesuch in die USA gereist. Gestern abend wollte sich de Maiziere mit dem Leiter der Ständigen Vertretung Bonns bei der UNO, Hans-Otto Bräutigam, treffen. Im Anschluß an das Gespräch mit Bräutigam steht ein Treffen mit dem New Yorker Kardinal O'Connor auf dem Besuchsprogramm.

Heute trifft de Maiziere als erster DDR-Ministerpräsident mit US-Präsident Bush im Weißen Haus zusammen.

Sowjets bleiben

vorerst in der DDR

Saltsjöbaden (ap) - Die Sowjetunion will nach den Worten von DDR-Außenminister Markus Meckel noch sieben Jahre lang Truppen in der DDR stationiert lassen. Bei einer Tagung des New Yorker Instituts für Ost-West-Sicherheitsstudien erklärte Meckel am Freitag im schwedischen Saltsjöbaden, seiner Ansicht nach werde es mehrere Jahre dauern, bis alle sowjetischen Truppen die DDR verlassen haben. Der Zeitraum für den Abzug solle seiner Meinung aber kürzer als sieben Jahre sein. Die Vorstellung, daß das wiedervereinigte Deutschland sowohl dem Warschauer Pakt als auch der Nato angehören könnte, bezeichnete der DDR-Außenminsiter als „absurd“. „Ich glaube nicht, daß dies möglich wäre“, sagte er. „Überlappende Sicherheitszonen“ könnten jedoch als vorübergehende Maßnahme erwogen werden, bis ein dauerhaftes gesamteuropäisches Sicherheitssystem aufgebaut worden sei.

Noch in diesem Jahr werden nach Einschätzung von DDR -Verteidigungsminister Eppelmann alle militärischen Strukturen des Warschauer Paktes wegfallen. Selbst das gemeinsame Oberkommando werde zur Jahreswende nicht mehr existieren, sagte Eppelmann in einem Interview. Eppelmann ging davon aus, daß die DDR in dem Augenblick, in dem die staatliche Vereinigung mit der Bundesrepublik vollzogen werde, die Mitgliedschaft im Warschauer Pakt aufkündigen werde. Darüber sei man sich bei der letzten Tagung des Militärbündnisses in Moskau „stillschweigend“ einig geworden.