„Hippie“ und die Causa Rabta vor dem Kadi

Prozeßbeginn gegen Jürgen Hippenstiel-Imhausen / Anklage wirft ihm „entscheidende Mitwirkung“ an der angeblichen Giftgasfabrik im libyschen Rabta vor / Libysche Funktionäre boten westlichen Diplomaten gegen Unkostenerstattung Demontage der mysteriösen Fabrik an  ■  Von Thomas Scheuer

Eineinhalb Jahre nach den weltweiten Turbulenzen um die Beteiligung westdeutscher Technologie-Söldner am Bau der vermeintlichen Giftgas-Fabrik im libyschen Rabta wird nun die juristische Endmoräne der Affäre beackert: Am heutigen Montag beginnt vor der 3. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts in Mannheim der Strafprozeß gegen den damaligen Geschäftsführer der Lahrer Firma Imhausen-Chemie, Jürgen („Hippie“) Hippenstiel-Imhausen.

Die von der baden-württembergischen Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität verfaßte Anklageschrift wirft dem südbadischen Industriellen vor, seit 1984 entscheidend an der Planung und Errichtung der vermeintlichen Giftgas-Fabrik mitgewirkt zu haben. Mit der Lieferung von Fertigungsplänen und technischen Anlagen für Rabta habe sich Hippenstiel-Imhausen der Verletzung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) schuldig gemacht. Seit Mai letzten Jahres sitzt Hippenstiel-Imhausen in U-Haft. Um die Jahreswende 1988/89 hatten sich Bundesregierung und Behörden zunächst mit dem erfolglosen Versuch blamiert, die Affäre zu vertuschen. Trotz einschlägiger Hinweise vermißte die Bonner Regierung beharrlich „gerichtsverwertbare Beweise“ und verzögerte zunächst sachgerechte Ermittlungen.

Die interessierte Fachwelt erwartet von dem Mannheimer Verfahren nicht zuletzt Aufschluß über den wahren Charakter der mysteriösen Fabrik in Rabta. Denn da die einzelnen von Imhausen beigesteuerten Komponenten für sich genommen auch in „zivilen“ Chemiebetrieben gebräuchlich sind und ihre Ausfuhr nicht strafbar ist, muß das Gericht nachweisen, daß es sich bei der Anlage in Rabta tatsächlich um eine reine Chemiewaffenfabrik handelt.

Zwei Gutachter, ein Chemiker und ein Verfahrenstechniker, sollen diesen Nachweis aufgrund von Blaupausen, Lieferlisten, Frachtbriefen, Fotos usw. führen. Sie werden vor allem belegen müssen, daß es sich bei der gelieferten Software für die komplizierte Steuerungsanlage, das technische Herzstück der Fabrik, um spezifische Programme für Giftgasgemische handelt. Was dem Gericht allerdings fehlt: Ein Augenzeuge, der vor Ort persönlich wahrgenommen hat, was in Rabta installiert und produziert wurde oder wird. Obwohl US-Dienste offenbar über Quellen verfügen, gelang es der Justiz nicht, diese anzuzapfen. Man habe es wohl „über die falschen Kanäle“ versucht, heißt es lakonisch.

Jene von den Medien gerne und ausgiebig kolportierten „Geheimdiensterkenntnisse“ trugen während der letzten Monate eher zu weiterer Konfusion denn zur Wahrheitsfindung bei: Ende letzten Jahres wurde gemeldet, Rabta produziere bereits, wenn auch wegen technischer Probleme in kleinen Mengen; 30 Tonnen des Kampfstoffes Lost seien bereits gehortet. Mitte März dieses Jahres doppelte US -Regierungssprecher Fitzwater nach: Rabta sei gefährlich und werde mit jedem Tag gefährlicher. Kurz darauf wurde ein Brand aus Rabta gemeldet: Unfall, wurde im Westen vermutet; Sabotage, hieß es in Tripolis. Zunächst galt die Fabrik als völlig zerstört; später ließen Satellitenfotos erkennen, daß die Rußspuren offenbar nur aufgemalt, der ganze Brand womöglich inszeniert war. Im Zusammenhang mit dem Brand werden bis heute zwei Techniker einer norddeutschen Firma von libyschen Sicherheitskräften festgehalten. Dann verbreitete der 'Spiegel‘ die Erkenntnis des in Sachen Rabta gewöhnlich schlecht unterrichteten Bundesnachrichtendienstes, wonach die Produktion in Rabta eingestellt sei. Erst letzte Woche kolportierte hingegen die US-Zeitung 'Washington Post‘ CIA-Informationen, wonach ebendort die Giftgasherstellung auf Hochtouren laufe. Kurz und gut: Nichts Genaues weiß man nicht.

Material für eine

zweite Fabrik?

Als im März bundesdeutsche und holländische Zollfahnder bei verschiedenen Firmen in Ulm, Stuttgart und Culemborg/NL in einer koordinierten Aktion den Transfer von Teilen einer Steuerungsanlage abklemmten, wurde zunächst auf Nachschub für Rabta getippt. Mittlerweile vermuten Experten eher, die Geräte sollten für eine neue, zweite Giftgasfabrik nach Libyen geschmuggelt werden. Diese soll angeblich nahe der Wüstenstadt Sabha, 800 Kilometer von Tripolis entfernt, im Bau sein.

Insidern ist die Lokalität geläufig: In Sabha befinden sich umfangreiche libysche Militäreinrichtungen. Anfang der 80er Jahre richtete die Münchner Firma OTRAG dort ein Raketen -Testzentrum ein, mußte sich aber auf internationalen Druck wieder zurückziehen. 1987 erlosch die Firma. Doch Ex-OTRAG -Techniker segeln möglicherweise heute unter anderer Flagge. Seit einem Jahr etwa ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen eine andere Münchner Firma wegen der angeblichen illegalen Lieferung von Ventilsteuerungsgeräten für Raketentriebwerke nach Libyen. Firmenchef ist, was für ein Zufall, ein ehemaliger Techniker des OTRAG-Konsortiums.

Die unbequeme Altlast in Rabta wollten Funktionäre des auf internationale Imagepflege bedachten libyschen Außenministeriums erst kürzlich aus der Welt schaffen: Libyen werde die „Aspirin-Plant“ abwracken, so stellte ein Beamter des Außenministeriums Mitte April einer Runde westeuropäischer Botschafter in Tripolis in Aussicht - wenn deren Länder für die Kosten einer neuen Arzneimittel-Fabrik aufkämen. Von den kontaktierten Westeuropäern sei der „lachhafte Vorschlag“, so ein schweizer Diplomat zur taz, jedoch als „Teppichhändlertrick“ bewertet und nicht aufgegriffen worden.

Zahlreiche Schlupflöcher

im Ausfuhrrecht

Zu Gericht gesessen wird in Mannheim auch über das bundesdeutsche Ausfuhrrecht. Die laxen Exportbestimmungen boten bisher zahlreiche Schlupflöcher (eine dezente Verschärfung des AWG beschloß der Bundestag just vorletzte Woche); Verstöße wurden, sofern überhaupt, bislang eher als Kavaliersdelikte geahndet. Genschers Außenministerium kam dieses Mal, anders als etwa in der U-Boot-Affäre, nicht umhin, eine „erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen“ zu konstatieren. Nur wenn diese vorliegt, kann ein Verstoß gegen das AWG als Vergehen (Höchststrafe: drei Jahre) geahndet werden; andernfalls geht ein illegaler Export als schlichte Ordnungswidrigkeit durch.

Angesichts der internationalen Aufmerksamkeit sähe ein allzu mildes Urteil für einen überführten Techno-Söldner vom Kaliber Imhausens natürlich nicht gut aus. Justitia wird also auch politische Erfordernisse abzuwägen haben. Dabei kann das Gericht noch kräftig draufsatteln - wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. Denn zur Tarnung des Projektes Pharma 150 in Rabta wurde seinerzeit parallel dazu eine Arzneimittelfabrik mit derselben Bezeichnung in Hongkong gebaut.

Während die Lieferungen für die potemkinsche Hongkong -Fabrik ordnungsgemäß deklariert und versteuert wurden, unterblieb dies naturgemäß bei den Schwarzlieferungen nach Libyen. Die Anklage präsentiert als Beweisstück einen seinerzeit in Wien zwischen Imhausen und einem auf Malta ansässigen libyschen Staatsunternehmen geschlossenen Vertrag, in dem das Geschäft mit fast 256 Millionen Mark beziffert wird. Imhausens unterschlagene Steuern würden sich somit auf gute 60 Millionen belaufen.

Ob die Steuerhinterziehung in einem Aufwasch mit der AWG -Verletzung oder in einem späteren Prozeß getrennt verhandelt wird, muß zwischen den Prozeßparteien noch ausgehandelt werden. Die gehen bislang auffallend brav miteinander um. Es wird bereits von Agreements hinter den Kulissen gemunkelt. Imhausens Verteidiger-Trio, das auch die sehr kurzfristige Terminierung des Prozesses widerspruchslos schluckte, stellt einen streckenweise durchaus kooperationswilligen Angeklagten in Aussicht. Wird Imhausen geopfert, um andere zu decken? Das Verfahren gegen Manager des damals bundeseigenen Salzgitter-Konzerns wurde schon mal abgekoppelt.