„Wir fingen an, uns zu wiederholen“

■ taz-Gespräch mit Tomas Alea und Miriam Talavera, cubanische RegisseurInnen / Über Aufbruch, Bürokratisierung und Perestroika

Letzte Woche ist in Bremen eine „Woche des Cubanischen Films“ angelaufen. Veranstalterin ist das Kommunalkino, die Filme hat der CONFilm-Verleih Bremen besorgt, dem es auch zu verdanken ist, daß zum Start der Cubawoche zwei Cubanische RegisseurInnen anwesend waren. Tomas Gutierrez Alea (61), der große alte Mann des „Nuevo Cine“, des nachrevolutionären cubanischen Kinos, studierte Regie in Italien und mitbegründete das Filminstitut ICAIC, das die gesamte cubanische Filmproduktion kontrolliert. Miriam Talavera (41) arbeitete für Rundfunk und Fernsehen in Havanna, und als Cutterin (u.a. mit Alea) und macht seit '85 Kurzfilme. Die taz unterhielt sich mit beiden über den Cubanischen Film, Glasnost in Cuba, Machismo und das Rauchen.

taz:30 Jahre „Neues Kino“ in Cuba: Was ist da noch neu?

Tomas G. Alea: 30 Jahre „neu“ kann man sagen, weil es vor 1959 kein cubanisches Kino gab. Drei Monate nach dem Sieg der Revolution wurde das cubanische Filminstitut gegründet. Produktion, Vertrieb und Verleih übernahm das Institut, die Kinos wurden verstaatlicht. Die Leitung übernahm eine Gruppe junger Leute - (lacht) damals junger! -, Intellektueller, die auch schon vor der Revolution anspruchsvolle Filme machen wollten.

Hatten Sie damals Kontakt zum europäischen Kino?

Alea: Ja. Ich war in Rom und habe beim Centro Esperimentale studiert. Wir waren begeistert vom italienischen Neorealismus Anfang der 50er, z.B. Rosselini; sein Kameramann Martelli arbeitet nach der Revolution mit uns. Das war ein Kino, das unseren Möglichkeiten viel näher war als Hollywood. Nordamerikanisches Kino waren wir satt. Außerdem war es für uns zu teuer. Der Neorealismus war billig und näher an unserer Realität. Mein erster Film noch vor der Revolution war realistisch. Es ging um die Lebensbedingungen der Arbeiter, die die Kohle aus den Sumpfgebieten holten. Eine Geschichte, kein Dokumentarfilm. Der Film wurde ein Mal gezeigt und dann sofort von Battistas Polizei beschlagnahmt. Wir wurden verhaftet.

Würden Sie so einen Film heute noch machen?

Alea: Nein, nein (lacht laut). Hoffentlich nicht. Er war naiv. Wir erkannten bald die Grenzen des Neorealismus. Die Realität in Cuba änderte sich täglich; zunächst entwickelten wir darum den Dokumentarfilm. Auch unsere Spielfilme wurden stark vom Dokumentarfilm beeinflußt.

Letzte Woche sahen wir Ihren Film „Bis zu einem gewissen Punkt“, einen Spielfilm mit dokumentarischen Anteilen.

Alea: Das ist seit den 70ern eine Konstante der cubanischen Films. Das hatte sich spontan entwickelt. Die Foto: Wolfram Steinberg

Revolution hatte sich institutionalisiert, an Dynamik verloren. Es reichte nicht mehr, mit der Kamera auf die Straße zu gehen.

Ich habe gelesen, daß es in Cuba eine Debatte gibt um den cubanischen Film: Experimentierfreude sei verschwunden, von Bürokratie und Dogmatismus erstickt.

Alea: Gut, es waren immer die gleichen Leute, die Filme machten, wir fingen an, uns zu wiederholen. Auch der Film, und auch wir haben uns bürokratisiert. z.B. jedes Filmprojekt mußte zur Leitung des Instituts, Drehbuch, erster Schnitt, jeder Schritt mußte vorgelegt werden. Aber es gibt Veränderungen seit '88. Jetzt sieht die Leitung den Film erst, wenn die Kopie fertig ist.

Miriam Talavera, wir haben einen Film über „Machismo“ gesehen; gibt es Machismo auch unter cubanischen Regisseuren?

(Heiterkeit); Miriam Talavera: Der Film sagt eigentlich genau das. Der Intellektuelle ist genauso wie die anderen.

Hat eine Regisseurin in Cuba mehr Probleme als ihr männlicher Kollege? Unterscheiden sich ihre Filme?

Talavera: Ich meine nicht. Aber es gibt wenige Regisseurinnen in Cuba. Die Frauen haben viel nachzuholen. An eine besondere weibliche Ästhetik glaube ich nicht.

Wie wirkt sich die Perestroika auf das cubanische Kino aus? Kommt Hollywood wieder?

Alea: Trotz der Blockade haben wir immer nordamerikanische Filme gesehn, auch wenn wir illegal über Drittländer Kopien ziehen mußten. Die Veränderungen in Osteuropa bringen uns und unseren Nachbarn sehr große wirtschaftliche Probleme.

Talavera: Das große Kapital investiert jetzt in Osteuropa, in die besser entwickelten Kolonien; seit der Ostblock kein Gegengewicht mehr ist, wird es immer arroganter und aggressiver, siehe Panama.

Alea: Für den Film heißt das: Dieses Jahr sollten 10 Filme gedreht werden, es gibt aber nur acht. Unseren Nachbarn geht es aber noch schlechter: In Brasilien weiß man nicht, ob 1990 überhaupt ein Film gedreht wird, sonst waren es hundert.

Ich höre, Sie, Herr Alea, wollen sich das Rauchen abgewöhnen. Ist die Nichtraucherbewegung ein erstes Zeichen für Perestroika in Cuba?

(Erhebliche Heiterkeit); Alea: Fidel raucht auch schon vier Jahre nicht mehr, seit dem Beginn einer Anti-Raucher -Kampagne. Wir haben in Köln Schnupftabak gesehen, den wollen wir für eine Übergangsphase nehmen. Fragen: Burkhard Straßman

Die Cuba-Woche wird heute fortgesetzt mit Humberto Solas „Wilfredo Lam“ und zwei kürzeren Filmen; Cinema, 18.45h