"Neue" Hafenstadt Berlin

■ Durch Berlins Häfen in Ost und West bläst ein frischer Wind / Neue-alte Aufgaben für die Binnenschiffer

West-Berlin. „Zum Seemann“ heißt die Kneipe im Wedding, der „Goldene Anker“ wird in Spandau ausgeworfen, und der „Leuchtturm“ leuchtet in Kreuzberg. Derlei Kneipennamen sind keine Reminiszenzen an St. Pauli, sie belegen nur, daß Berlin eine Hafenstadt war - und ist. Zwar nicht mehr, wie vor zehn Jahren, der zweitgrößte Binnenhafen nach Duisburg in Deutschland, aber immer noch einer der fünf größten. Zehn Häfen gibt es in Berlin-West und Ost und zudem mehr als 100 Ladestraßen entlang der Havel, der Spree, des Teltow- und des Landwehrkanals. 190 Kilometer schiffbare Gewässer hat Gesamtberlin, die durch ein weitverzweigtes Kanalsystem, das märkische Wasserstraßennetz, an die Oder im Osten und an die Elbe im Westen angebunden sind.

Trotzdem war die Binnenschifffahrt bislang ein Stiefkind der Verkehrsplanung in Ost und West. Zwar verzeichnet sie seit Jahren konstante Zahlen, die Menge der in Berlin umgeschlagenen Güter betreffend, im Vergleich zu den anderen Transportmitteln wie LKW, Flugzeug und Bahn schneidet sie aber schlecht ab. Die Gründe: Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges, als Wasserstraßen gekappt und schikanöse Kontrollen der Schiffe nach dem Passieren der Demarkationslinie an der Tagesordnung waren. Sie machten Gütertransporte per Schiff durch den Osten zeitlich unberechenbar. Gleichzeitig wurden Kanalausbauten auf Eis gelegt, so daß die Binnenschiffahrt weiterhin von den schwankenden und häufig zu niedrigen Wasserpegeln der großen Ströme abhängig war.

Mit dem Fall der Mauer haben sich nun Veränderungen angebahnt, die die Schiffer optimistisch in die Zukunft blicken lassen. Die Schikanen der Ost-Patrouillen gehören schon seit November '89 der Vergangenheit an. Am 1.Mai wurden nun auch die äußerst kurzen, „eingeschränkten Abfertigungszeiten“ an den Grenzpunkten abgeschafft - eine Erleichterung, die auch der Fahrgastschiffahrt zugute kommt: die allseits beliebten „Mondscheintouren“ können nun bis weit in die Nacht hinein gefahren werden.

Norman Halfar, Berliner Geschäftsstellenführer des Bundesverbandes der deutschen Binnenschiffer e.V.: „Jetzt sind die Regierungen aufgefordert, die Prioritäten im Ausbau der Verkehrssysteme zugunsten der bislang vernachlässigten Binnenschiffahrt zu verändern!“ Die Wasserstraßen sind vorhanden, sie könnten ohne zusätzliche Belastung der Umwelt für den europäischen Schiffsverkehr ausgebaut werden. Einen ersten Schritt hat der Senat jetzt mit dem erneuten Beschluß getan, endlich den Ausbau der baufälligen Spandauer Schleuse für das 80 Meter lange „Europaschiff“ in Angriff zu nehmen.

Die Berliner Häfen mit ihrem Kernstück, dem Weddinger Westhafen, waren „Versorgungshäfen - sie werden fast nur mit Ware beliefert. Schwere Rohstoffe kommen - per Schiff - in die Stadt, und leichte Fertigprodukte werden - per LKW oder Flugzeug - dann wieder exportiert. Daran werde sich in Zukunft nichts Grundlegendes ändern, schätzt Halfar. Doch sei nach Öffnung der osteuropäischen Märkte der Handel mit Polen, der CSFR und der UdSSR stark ausbaufähig. Beim „Wiederaufbau der DDR“ würden Baumaterialien en masse benötigt, die traditionell per Schiff befördert werden. Der Transport von Containern per Schiff im „roll-on/roll-off„ -Verfahren werde anvisiert, und zudem böten sich die Frachtschiffe als sparsame und umweltfreundliche Transportmittel von Giftmüll und Gefahrengut an. Fazit: rosige Zeiten für Kähne aus dem Heimathafen Berlin, wie die „Santa Fe“ oder die „Mark Brandenburg“.