DIE KINDER VON TSCHERNOBYL

1 2. J U N I 9 0 Vier Jahre nach Tschernobyl ist für uns die Welt beinahe wieder in Ordnung. Anders in Belorußland: Bei den in den Belastungszonen eins (ab 37.000 Bq/m2), zwei (558.000 bis 1.480.000 Bq/m2) und drei (11.100.000 Bq/km2) lebenden Menschen werden mit jedem Jahr die Folgen des Unfalls deutlicher. Obwohl erst nach fünf bis zehn Jahren mit dem Ausbruch der Leukose gerechnet wird, erkrankt jedes dritte Kind an Leukämie. 95 Prozent der Kinder sterben, weil es in hochbelasteter Umgebung lebt, es weder unverstrahlte Nahrung noch Behandlung gibt.

Die Situation wurde nur dank der Bürgerbewegung „Kinder von Tschernobyl“ bekannt. Letztes Jahr gab es noch Verhaftungen der Bürgerechtler; dieses Jahr wurde die Situation in den Tageszeitungen dargestellt.

Die sowjetische Bevölkerung spendete 395 Millionen Rubel. Davon bekam Belorußland ein Drittel. Zwei Drittel behielt das zuständige Ministerium „für den Ausfall des Reaktors und die damit verbundene wirtschaftlichen Einbußen“.

Wie der Altag der dort Lebenden aussieht, schildern Frau Doktor Gruschewaja (Kinder von Tschernobyl) und Sebastian Pflugbeil (Neues Forum): „Die Menschen dürfen das Obst und Gemüse aus ihren Gärten nicht essen. Sie dürfen nicht in den Wald gehen, keine Pilze, Beeren sammeln, die Milch ihrer Kühe nicht trinken, im Fluß nicht baden, die Fische nicht fangen. Ein Erwachsener kann das vielleicht eine gewisse Weile ertragen - aber wir wissen ja überhaupt nicht, wie lange diese Einschränkungen noch erforderlich sind. Es ist außerdem nicht möglich, unverseuchte Nahrung in den Läden zu kaufen. Am schlimmsten aber ist es für die Kinder. Vier Jahre sind für Kinder eine unendlich lange Zeit. Sie waren es gewohnt, im Wald zu spielen, den größten Teil des Tages im Freien zu verbringen. Bis vor kurzem wurden die Kinder morgens auf einem be toniertem Pfad zum Schulbus gebracht, zur Schule gefahren, saßen bis abends um 20 Uhr in der Schule - ohne Pause im Freien - und wurden dann wieder mit dem Bus nach Hause gefahren. Sie durften nicht draußen spielen, aber natürlich rissen sie oft aus und spielten so wie früher. Es gab auch neue Spiele - zum Beispiel das Spiel „Radioaktivität“ im Staub der Straße. Sie können nicht verstehen, daß sie die Erdbeeren und die Äpfel nicht essen sollen. (...)

Man erkennt sofort, daß es den Kindern schlecht geht. Sie sind schlecht ernährt, klagen über Kopfschmerzen und Magenbeschwerden, haben oft Nasenbluten und erkranken schwer, wenn sie eine einfache Grippe bekommen. Die Zahl von Kindern mit Schilddrüsenerkrankungen nimmt stark zu. Sie sind bedrückt und sehen mit erschütternder Hoffnungslosigkeit oder Gleichgültigkeit in die Zukunft...“

Die Kinder brauchen Hilfe von außen. Der Verein für unbelastete Nahrung e.V. hat neben Geldspenden (Sonder -Spendenkonto Hilfsaktion für die Kinder von Tschernobyl Kontonummer: 500 40 07 Bankleitzahl 210 501 70 Kieler Spar und Leihkasse bis 30. Juni) zu Familienpatenschaften aufgerufen.

Die Ferien in Belorußland sind vom 15. Mai bis zum 1. September. Wer einem Kind den dringend notwendigen Aufenthalt in strahlungsarmer Umgebung mit ärztlicher Betreuung ermöglichen möchte, wende sich an die Geschäftsleitung Frau Helga Rommel Tel.: 0431/ 67 20 41 oder die Vorstandsmitglieder Frau Dagmar Linke Tel.: 040/ 831 45 81 und Angela Marx-Siebdrath Tel.: 040/ 556 78 26, des Vereins Eltern für unbelastete Nahrung e.V. Spontan haben sich bereits 17 Familien dafür entschieden.