Das Ende der Lau- und Graumänner

Vogels möglicher Abgang - Anfang vom Ende einer Politikergeneration?  ■ K O M M E N T A R E

Natürlich: Horst Ehmke spielt nicht mit offenen Karten. Seinen Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel Über die Altersfrage sturmreif zu schießen und damit den Weg frei zu machen für einen Kanzlerkandidaten und SPD-Chef Oskar Lafontaine, zeugt nicht von Stil und kann getrost unter der bekannten sozialdemokratischen Feigheit vor dem Aussprechen noch nicht beschlossener Notwendigkeiten abgehakt werden. Dennoch zielt Ehmkes Vorstoß - wenn auch auf Umwegen - ins Schwarze. Oder besser: ins Graue. Lassen wir bundesdeutsche Parteivorsitzende einmal vor unserem geistigen Auge Revue passieren. Helmut Kohl, Hans-Jochen Vogel, Otto Graf Lambsdorff oder dieses Greisen-Kabinett, das uns die Grünen jetzt als kollektive Parteiführung präsentieren. Noch Fragen? Die Nachkriegsordnung in Deutschland und Europa wird derzeit auf den Kopf gestellt, aber hier werden die Parteien von Personen repräsentiert, die im Muff der fünfziger Jahre politisch erwachsen geworden sind.

Da dominieren Parteisoldaten vom Schlage eines Hans-Jochen Vogel - einer von den Typen also, die auf konkrete Fragen noch nie mit Ja oder Nein geantwortet haben und bestenfalls für die Sekundärtugenden stehen, mit denen Lafontaine einst Altkanzler Helmut Schmidt bedachte. Die Vorgabe, daß Parteivorsitzende die oft widerstrebenden Flügel ihrer Organisationen gleichermaßen repräsentieren können, hat eine Nomenklatura von Lau- und Graumännern hervorgebracht: profillos, farblos. Bekommen sie es mit einem Lafontaine zu tun, der für seinen Job als Kanzlerkandidat die bedingungslose Unterstützung eines auch polarisierenden Wahlkampfes verlangt, werden sie bockig. Sie sind Mimosen, fürchten zudem alles Neue und lieben nur den Erfolg - nicht aber den Erfolgreichen. Heiner Geißler kennt das und Oskar Lafontaine lernt es jetzt kennen.

In stillen Stunden wundern sich die Grauen über das Image eines Gregor Gysi. Der PDS-Chef schleppt die Altlast seiner SED-Vorgänger mit sich herum und genießt dennoch große Popularität - vor allem bei Jugend und Teilen der Intelligenz. Als „naive Neugier“ wurde dieser Umstand jüngst im SPD-Strategiepapier zur PDS bezeichnet. Ist das ein Dokument der Unkenntnis oder Ausdruck der Angst vor einem Aufkommen von Figuren wie Gysi auch in den eigenen Reihen?

Vielleicht gelingt das Husarenstück und Lafontaine ist im Herbst sowohl Spitzenkandidat als auch Vorsitzender einer gesamtdeutschen SPD. Den Sozialdemokraten würde es nützen, und die anderen Parteien könnten davon lernen. Nicht nur die Politik, sondern auch ihre Protagonisten wären spannend.

Axel Kintzinger