Die Schattenseiten der Währungsunion

Eine Pressekonferenz über das neue Sozialhilfegesetz als Diskussionsveranstaltung / Betroffenheit über die Notwendigungkeit eines „sozialen Netzes“ / Recht auf Unterstützung so „natürlich“ wie Rentenanspruch  ■  Aus Berlin Beate Seel

„Sie sehen aus, als ob Sie vom Sozialhilfegesetz total erschlagen sind. Das ist für uns alle etwas Neues. Vor einem halben Jahr hätte ich nicht gedacht, daß so was auf uns zukommt.“ Mit diesen Worten kommentierte die Ministerin für Familie und Frauen, Christa Schmidt (CDU), die Befindlichkeit der JournalistInnen, die gestern ihrer Einladung zu einer Pressekonferenz gefolgt waren. In der Tat: Die Erläuterungen der Ministerin zum Sozialhilfegesetz, das am vergangenen Freitag in erster Lesung von der Volkskammer verabschiedet worden war, löste weniger kritische Fragen nach einzelnen Bestimmungen aus als Betroffenheit über die Schattenseiten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.

Es war eine Runde, die teilweise eher an eine Diskussionsveranstaltung erinnerte, denn an eine Pressekonferenz. Bei manchen Beträgen konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Fragen seien auch aus einem ganz persönlichen Interesse gestellt, beispielsweise, wenn es um die Lage alleinerziehender Frauen, Unterhaltszahlungen und Ansprüche auf Sozialhilfe ging. Und so fehlten auch Hinweise auf eigene Erfahrungen im Familienkreis nicht. Selbst die 49jährige Ministerin, von Haus aus Lehrerin, verheiratet und Mutter zweier Kinder, plauderte gelegentlich aus dem häuslichen Nähkästchen.

Einem der Anwesenden mißfiel der im Einleitungsbeitrag gefallene Satz „Niemand muß sich schämen, Sozialhilfe zu beantragen“. Warum müsse das überhaupt konstatiert werden? Würden solche Äußerungen nicht den gegenteiligen Effekt haben? Schmidt wies darauf hin, daß ihre Intention genau die umgekehrte sei. Die Schamgefühle seien bereits da, daher müsse man deutlich machen, daß das Recht auf Sozialhilfe so „natürlich“ sei wie der Rentenanspruch. Eine Journalistin kam später noch einmal auf das Schamgefühl zurück, nachdem dieser Gesichtspunkt ihr offensichtlich im Kopf herumgegangen war. Zu einem Amt zu gehen, um Geld für einen Wintermantel zu beantragen, das sei doch eine „furchtbare Vorstellung“. Die Ministerin meinte, wenn ihre Mutter als Rentnerin einen neuen Wintermantel bräuchte, möchte sie selbst auch nicht, daß sie deswegen zum Sozialamt läuft. Neben dem Anspruch auf Sozialhilfe gehe es eben auch darum, das Solidaritätsgefühl wieder zu stärken, auch innerhalb der Familie. Die Regelung sieht nämlich auch vor, daß der Anspruch auf staatliche Hilfe nur dann gilt, wenn die Familie nicht zur Unterstützung herangezogen werden kann. In diesem Zusammenhang war viel von der „moralisch-ethischen Seite“ des Problems die Rede. Und immer wieder der Satz: So etwas waren DDR-Bürger bisher nicht gewohnt. Unangenehm berührt zeigten sich einige angesichts der Notwendigkeit, beim Antrag auf Sozialhilfe die Vermögensverhältnisse offenzulegen - ebenfalls ungewohnt, obleich auch bislang bei bestimmten Vergünstigungen üblich, beispielsweise dem kostenlosen Verpflegung der Kinder in der Schule.

Angesichts der bedrückten Stimmung im Raum wies eine Mitarbeiterin der Ministerin zum Schluß nochmals auf die Vorteile der neuen Regelung hin. Immerhin gebe es künftig ein minimales Einkommen, vielleicht auch mehr, das vom Staat festgelegt worden sei und auf das jeder auch einen Anspruch hat. Früher sei man da häufig alleine gelassen worden. Sie zitierte den Fall ihrer Mutter, die als Rentnerin nur über ein sehr geringes Einkommen verfüge. Mit der neuen Regelung würde für die Bevölkerung gesorgt, fügte Christa Schmidt hinzu. Das Ministerium bereitet derzeit ein Informationsblatt vor, damit die am 2. Juli in Kraft tretenden Regelungen für den einzelnen verständlich und nachvollziehbar werden.

Ein Journalist sprach vermutlich vielen aus dem Herzen, als er meinte, es sei zu würdigen, daß die neue Regelung komme, aber es wäre doch wünschenswert, wenn sie gar nicht erst zu Anwendung käme - eine Illusion, wie er konstatierte.