Reise nach Deutschland

■ „Landschaft im Nebel“, ZDF, 22.40 Uhr

Die Erschaffung der Welt! Um nichts mehr, aber auch um nichts weniger geht es in Theo Angelopoulos‘ Landschaft im Nebel, dem letzten Film der „Trilogie des Schweigens“ (ZDF, 22.40 Uhr).

Angelopoulos hat nie Filme gemacht, die „einfach nur“ Geschichten erzählen. Sein Hauptmotiv ist immer das Unterwegssein, das Un-beheimatete und doch immer an Griechenland Gebundene. Und obschon Landschaft im Nebel nicht ausdrücklich auf die jüngere Geschichte Griechenlands verweist, sind seine Figuren und Bilder überhäuft davon.

Der Film erzählt die Geschichte der elfjährigen Voula (Tanja Paleologou) und ihres fünfjährigen Bruders Alexandros (Michalis Zekes), die sich aufmachen, ihren unerreichbaren Vater, vielmehr den Traum eines in Wirklichkeit inexistenten Vaters in „Deutschand“ zu suchen. „Deutschland“, das ist, imaginär wie der Vater, irgendwo oben im Norden, jenseits der Grenze. Und was könnte griechischer sein als diese Fahrt, diese Hoffnung auf Glück jenseits der Grenze eines Landes, dessen größter Bevölkerungsanteil im Ausland lebt?

Der beschwerliche Weg führt die Kinder, jenseits aller Klischees von blauem Meer und kykladischem Licht, durch den griechischen Winter: trostlos und kalt, fast menschenleer. Entsprechend ruhig die Kamera und spärlich die Dialoge.

In Momenten der Angst und der Unsicherheit ist das Märchen von der Erschaffung der Welt ihr gegenseitiger Trost: „Am Anfang war das Chaos. Dann wurde Licht und es trennte sich das Licht von der Dunkelheit und die Erde vom Meer und es wurden Flüsse und Berge...“

Auf ihrer Reise begegnet ihnen, ganz undramatisch, das Leben: Der verärgerte Onkel, der für die „Weggelaufenen“ keine Verantwortung übernehmen will. Ein fast menschenfreundlicher Kneipenwirt, der den Fünfjährigen für zwei Sandwiches einen ganzen Tag arbeiten läßt. Ein gleichgültiger Lastwagenfahrer, der sie ein Stück mitnimmt und beiläufig Voula vergewaltigt. Ein Pferd, das auf der Straße liegt und vor ihren Augen stirbt. Und schließlich Orestis (Stratos Giorgioglou), ein junger Wanderschauspieler, der in Thessaloniki zum Militär muß und sich der beiden, aus einer Laune heraus, bis dahin annimmt und in den sich Voula natürlich verliebt.

Schließlich schaffen sie es doch, in den richtigen Zug zu kommen, müssen aber an der Grenze raus. Nachts setzen sie heimlich mit einem kleinen Kahn über den Fluß, und an einem milchigen Morgen erreichen sie schließlich die andere Seite: „Deutschland?!“

Im Gegensatz zu allen früheren Filmen Angelopoulos‘ aber endet dieser nicht in gescheiterten Hoffnungen und desillusionierter Resignation. Nach der Grenzüberschreitung betreten die Kinder eine neue Welt, die sie selbst erschaffen haben, ihr Märchen: Sie lösen sich in einer Landschaft im Nebel auf, der sich langsam hebt, ein blauschimmernder Baum wird immer deutlicher sichtbar. Das Bild, in helles Licht getaucht, „leuchtet wie am Ersten Tag!“ (Angelopoulos).

Anna Lazaridou