Nicht Gott, sondern das Hakenkreuz

■ Unverhohlener Antisemitismus in Moskauer Rockzeitschrift: Erstes Gerichtsverfahren gegen die Verbreiter nur durch die Hintertür möglich

„Demokratie ist der heiligste Traum des ganzen Judentums (...) Der jüdische Anthropozentrismus ist die Grundlage des individualistischen Satanismus (...) Nicht das christliche Kreuz oder Gott, sondern das Hakenkreuz, Symbol der aufgehenden Sonne, wählt der arbeitssame, manchmal unglückliche, aber hochstehende völkische Ackerbauer für sich...“.

Solche und andere Ungeheuerlichkeiten konnten die Leser des Moskauer Rockmagazins 'Sdwig‘ in der Februarausgabe finden. Der Autor dieses Beitrages heißt Sergej Scharikow und gehört zu den einflußreichen Leuten der sowjetischen Rockszene. Offiziell bekleidet er eine Funktion im staatlichen Moskauer Rocklaboratorium, das sich vor allem um den künstlerischen Nachwuchs kümmert.

'Sdwig‘ wird von dieser Institution mit Unterstützung des staatlichen Jugendverbandes „Komsomol“ herausgegeben. Unter dem Vorwand, den Qualitätsverlust des sowjetischen Rocks zu analysieren, führt der Autor einen Feldzug gegen die vermeintliche „Verdrängung“ des Russischen durch die sowjetischen Juden.

Seit längerem ist es kein Geheimnis, daß Antisemitismus in der UdSSR wieder an Boden gewinnt. Das Besondere an diesem Vorfall: Zum ersten Mal hatte er ein gerichtliches Nachspiel. Das Volksgericht des Moskauer Stadtbezirks Baumann verfügte die Einziehung der Ausgabe, soweit sie sich noch in den Läden befindet und verurteilte die Redakteure zu Geldstrafen. In der Urteilsverkündung fielen allerdings kein einziges Mal die Worte „Antisemitismus“ oder „Rassismus“. Die Richterin hätte sich auch auf Artikel berufen können, die das Schüren von Rassenhaß verbieten beziehungsweise es den sowjetischen Bürgern zur Pflicht machen, die nationale Würde anderer Bürger zu achten.

Aber nichts dergleichen. Ilja Smirnow, Herausgeber der bekannten Samisdat-Rockzeitschrift 'Urlait‘ und Nebenkläger in diesem Prozeß, wundert sich darüber gar nicht: „Die Richterin hat keine Ahnung, wie sie diese Artikel in so einem Zusammenhang anwenden soll. Bisher konnte dergleichen nie zum Gegenstand eines Verfahrens werden. Auf politischer Grundlage hätten wir den Prozeß auf keinen Fall gewonnen“. Glücklicher Umstand für die Kläger: Die Redakteure hatten Illustrationen des Karikaturisten Jurij Nepacharjew ohne dessen Einwilligung und Namensnennung abgedruckt und dadurch gegen das Urheberrecht verstoßen. Gleich nach Erscheinen des Artikels hatte Nepacharjew versucht, den Prokurator Generalstaatsanwalt - Moskaus zu einem Vorgehen gegen die Zeitschrift wegen ihres offenen Antisemitismus zu bewegen. Eine Antwort hat er darauf nie erhalten.

„Bis in die höchsten Kreise hinein“, meint Smirnow, ist es einfach nicht opportun einzugreifen“ und verweist auf Leute wie Wenjamin Jarin und Walentin Rasputin, die aus ihrer Haltung kein Hehl machen und trotzdem Mitglieder im Präsidentenrat Gorbatschows sind.

Auch die Richterin im Baumanskij Rayon hätte die Anklage zurückweisen oder zumindest die Strafen geringer ausfallen lassen können. Unter den gegebenen Umständen zeigt sich Smirnow mit dem Ergebnis zufrieden: „Unser ganzer Dank gilt dieser Frau. Sie hat alles getan, was in ihrer Macht stand und sich clever verhalten. Insofern hat der Prozeß doch noch den Charakter einer politischen Aussage gegen den wachsenden Antisemitismus angenommen“.

Ähnliche Artikel kann man mittlerweile auch in anderen Zeitungen wie 'Nasch Sowremennik‘ oder 'Molodaja Gwardija‘ finden. Für Smirnow sind dies alles „Produkte einer Zusammenarbeit von Stalinisten und strammen Nazis“.

Man muß, so Smirnow, den personellen Querverbindungen Aufmerksamkeit schenken. Scharikow wirkt nicht nur im Rocklaboratorium mit, sondern ist auch aktives Mitglied der russisch-fundamental gestrickten Bewegung „Pamjat“. Sein Kollege Artemy Troizky, Verfasser des in England verlegten und ziemlich bekannten Buches „Rock in Russia“ ist ebenfalls diesem Kreise zuzuordnen. Troizkij verfügt über beste Westkontakte. Dort hält man deren Publikationen für unabhängig. „Die Geldgeber im Westen müssen genauer hinschauen, wen sie da eigentlich finanziell stützen“, mahnt Smirnow.

Zu der Frage, wohin diese Kräfte die Entwicklung der Sowjetunion führen wollen, noch eine Leseprobe, die keiner Kommentierung bedarf: „Wir wollen kein Manifest eines 'engstirnigen Quasi-Patriotismus‘ schreiben, wie Politiker des liberalen Terrorismus die Äußerungen eines nationalen, russischen Selbstbewußtseins zu nennen pflegen (...) Unser Weg zu einem na tionalen Selbstbewußtsein ist der Weg der Desatanisierung der Kultur (...) Das russische Volk muß wieder zum Subjekt der Geschichte werden...“.

Wie wenig Aufmerksamkeit diesen Machenschaften in der UdSSR geschenkt wird, ließ sich an einem ablesen: Außer von der Reformerzeitung 'Moskowskije Nowosti‘ war kein weiterer Journalist zur Verhandlung erschienen.

Klaus-Helge Donath