Mit dem Rinderwahnsinn zurück ins Mittelalter

■ Ungewöhnlich scharfe Kritik an der Aufhebung des Importstopps für britisches Rindfleisch / Supermarkt-Ketten wollen Einfuhren von der Insel aus dem Angebot nehmen / Bonner Wissenschaftskonferenz verteilt Beruhigungspillen: Keine Anhaltspunkte für Übertragungsgefahr

Berlin (taz) - Die Supermarkt-Ketten Tengelmann, Rewe, Coop, Karstadt und Allkauf wollen trotz der Aufhebung des Importstopps durch die Bundesregierung kein britisches Rindfleisch mehr verkaufen. Diese Zusicherung erhielt die Bonner Verbraucherinitiative, die nach den alarmierenden Meldungen über die Rinderseuche BSE („Rinderwahnsinn“) alle großen Lebensmittel-Ketten angeschrieben hatte. Ihr Sprecher, Gerd Billen, erwartet, daß britisches Rindfleisch nach der Aufhebung des Importstopps verstärkt in den Rouladen-Markt drängen könnte. Bislang hätten Fleischimporte aus Großbritannien aber nur ein bis zwei Prozent des Rindfleischangebots in bundesdeutschen Läden ausgemacht. Deswegen sei keine Notstandssituation zu befürchten. Verbraucher sollten sich allerdings gezielt in den Läden erkundigen, ob britisches Rindfleisch im Angebot sei. Billens Rat: „Wer keine Antwort kriegt, soll den Laden wechseln“. Britisches Rindfleisch müsse solange tabu sein, bis die gesundheitliche Unbedenklichkeit wirklich erwiesen und nicht nur eine Behauptung der Londoner Regierung sei.

Die Verbraucherinitiative erneuerte ihre Forderung, den Fleischimport zu stoppen. In der gegenwärtigen Situation müßten Lebensmittelketten und Metzger aber zumindest zur Deklaration gezwungen werden. Die Chancen dafür seien günstig, da offenbar niemand den gesamten Rindfleischmarkt wegen des geringen Marktanteils an britischem Fleisch gefährden wolle.

Die Bonner Initiative weist daraufhin, daß auch bei einem verendeten Hauskater, der mit Schlachtabfällen gefüttert wurde, die für BSE typischen „Löcher“ im Gehirn gefunden wurden. Auch Hamster und Mäuse, denen infiziertes Gewebe injiziert worden waren, seien als Folge der Hirnschrumpfung verendet. Damit sei die Übertragbarkeit dieser Erkrankung bestätigt.

Der Berliner Virologe Wolfgang Mields, der den Importstopp vor seiner Aufhebung durch die EG-Agrarminister in einem taz -Interview als notwendige vorsorgende Gesundheitspolitik vehement verteidigt hatte, sagte, daß die schwammartige Hirnerkrankung auch bei Nerzen aufgetreten sei. Eine direkte Weitergabe des Erregers von Tier zu Tier hält Mields dennoch für unwahrscheinlich. Die Krankheit werde in erster Linie über Tierkörpermehle weiterverbreitet. In Großbritannien würden - wie in der Bundesrepublik und in anderen Ländern tierische Kadaver und sonstige Fleischabfälle und Tierreste zu Mehl verarbeitet und als Futtermittelzusatz auch an Rinder verfüttert.

In der Bundesrepublik sei dabei eine Sterilisation durch Erhitzung der Futtermehle auf 133 Grad vorgeschrieben. In Großbritannien, wo dies nicht vorgeschrieben ist, habe sich der Erreger, der zuerst bei Schafen aufgetreten war, ungebremst ausbreiten können. Mields erinnerte daran, daß gerade solche Bestände erkrankt seien, die nachgewiesenermaßen Tiermehle verfüttern. Auf die Aufhebung des Importverbotes eingehend, sagte Mields, daß Hirn, Kutteln, und Innereien nach wie vor nicht eingeführt werden dürften. Erlaubt sei nur reines Muskelfleisch, in dem der Erreger bislang nicht nachgewiesen wurde.

Ungewöhnlich scharf haben die Agrarspezialisten der Grünen, Flinner, Kreuzeder und Graefe zu Baringdorf, die Aufhebung des Importverbotes verurteilt. Aus Rücksicht auf den Rindfleischmarkt in der EG und die industrielle Agrarproduktion würden die Gefahren heruntergespielt. Sie sehen darin „mittelalterliche Zustände“. Weder der Erreger, noch die Inkubationszeit, noch die Übertragungswege seien bei BSE bislang hinreichend abgesichert. Auch über das Ausmaß der Seuche und den Befall anderer Säugetiere sei nur wenig bekannt. Dem Verbraucher werde vorgegaukelt, durch die Abtrennung von Gehirn, Rückenmark, Mandeln, Milz und Gedärme vom übrigen Fleisch, den Erreger auszuschalten. Doch im Schlachthof könne bei der Entfernung dieser Teile vom Muskelfleisch „nicht unter chirurgischen Sterilbedingungen“ gearbeitet werden. Außerdem sei die Frage der Kontrolle unlösbar.

In der Bonner Wissenschaftskonferenz berichtete gestern der Veterinärmediziner Prof. Otto Straub, daß bislang weder ein Erreger- noch ein Antikörper-Nachweis gelungen sei. Als Ursprung könne aber die Schafskrankheit Scrapie angenommen werden. Für eine Übertragungsgefahr auf den Menschen gebe es keine Anhaltspunkte. Übertragungsversuche von erkrankten Schafen auf Schimpansen seien negativ verlaufen, dagegen sei eine Übertragung vom Rind auf Nagetiere gelungen.

Manfred Kriener