Nelson Mandela in den Armen der SPD

■ Die Anti-Apartheid-Bewegung in der Bundesrepublik ist von ihrem Idol irritiert / Aus Bonn Andrea Seibel

Nelson Mandela, der Star der südafrikanischen Befreiungsbewegung ANC kam und kam doch nicht. Während die versammelte Basis der Anti-Apartheid-Bewegung bei seinem Besuch in Bonn vergeblich auf den Auftritt Mandelas wartete, absolvierte dieser einen offiziellen Termin nach dem anderen. Von Warnke bis Weizsäcker waren alle dabei, doch feiern ließ sich Mandela von der Sozialdemokratie. Willy Brandt, so offenbarte er den erstaunten Zuhöreren, sei schließlich einer seiner größten Helden.

„Ich habe eine schlechte Nachricht für euch: wir müssen jetzt gleich gehen und mit dem Establishment reden. Daß die uns jetzt treffen wollen, ist die Frucht eurer Arbeit.“ Thabo Mbeki, jüngeres Führungsmitglied des ANC, ist ein Fuchs. Was er vorgestern nachmittag vor versammelter Solidaritätsbewegung in der sambischen Botschaft in Bonn verkündete, ist wahr und ein harter Brocken - für die Anti -Apartheid-Bewegung. Damals - so vermeint man viele wispern zu hören - als Mandela hinter Gittern saß und wir agierten, war die Welt noch in Ordnung. Jetzt ist er frei und wird von den Herrschenden hofiert.

Vorgestern sollte es zur Begegnung zwischen dem Idol und seiner Gemeinde kommen. Aber Mandela kam einfach nicht. Statt dessen schickte er seine Frau Winnie. Eine klare Geste. Der Politiker Mandela mußte mit seinen Kräften haushalten. Sich bei der Solidaritätsbewegung zu bedanken und die Beibehaltung der Sanktionen zu fordern, das konnte Winnie Mandela genausogut. Tatsächlich wurde die emotionale Bedürfnislage der zumeist jüngeren Anti-Apartheid -AktivistInnen nach kurzer Enttäuschung auch vollstens befriedigt. Denn, Winnie Mandela sparte nicht mit Schmeichelei. „Ihr habt uns, als wir in den dunklen Zellen saßen, Inspiration und Hoffnung gegeben. Und ihr habt mit eurer Kampagne die Regierung in die Knie gezwungen.“ Sie reckte die Faust, küßte einen fünfjährigen Nelson Mandela aus Mali und bekam ein Album überreicht, in dem die Anti -Apartheid-Aktionen der letzten 17 Jahre dokumentiert sind.

„Verpflichtungen“, so Winnie Mandela, hätten „unseren Führer“ ferngehalten. Dazu hatte am Montag nicht nur ein Gespräch mit 40 Vertretern der Wirtschaft im Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) gehört, sondern auch eine Begegnung mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Warnke (CSU). Von früh bis spät warb Mandela in diversen Gesprächen um Unterstützung für seine Politik des Kompromisses und der Versöhnung und um die Aufrechterhaltung der EG-Sanktionen als politischem Druckmittel.

Bei letzterem biß er allerdings auf Granit. Die Wirtschaft hält Mandelas Position für „extrem“ und Warnke meinte, Mandela könne nicht um ökonomische Hilfe für Zehntausende aus dem Exil Zurückkehrende bitten und gleichzeitig für Wirtschaftssanktionen plädieren. Das sei doch, als „wenn man gleichzeitig mit einem Fuß Gas gibt und mit dem anderen die Bremse tritt“.

Doch was waren diese Querschläger gegenüber der Umarmung von und mit der Sozialdemokratie am Montag abend? Mehrere tausend Menschen waren ZeugInnen, wie die SPD genüßlich den Mythos Mandela in ihre Reihen aufnahm. „Unser Haus ist Ihr Haus“, begrüßte ihn Johannes Rau vor der SPD-Zentrale. Willy Brandt feierte unter frenetischem Applaus der ZuhörerInnen „den zukünftigen Präsidenten Südafrikas“, würdigte dessen Standhaftigkeit und Stärke und bekräftigte, daß die Debatte über Sinn oder Unsinn von Sanktionen ein Ende haben müsse. „Warum einen erfolgreichen Weg verlassen. Alle Lebenserfahrung spricht dafür, erst abzulassen, wenn grundsätzlicher Wandel hergestellt ist.“ Der gefangene Mandela habe sich im Kampf gegen das Rassistenregime als der Stärkere erwiesen, der freigelassene Mandela sei Symbol der Versöhnungsbereitschaft und des Friedens zugleich.

In seiner zwanzigminütigen Antwortrede erregte Mandela bei den ZuhörerInnen teilweise Belustigung, weil er unerwarteterweise eine Laudatio auf Willy Brandt hielt und kaum zu bremsen war. „Sehr verehrte Damen und Herren. Als ich die Einladung der Sozialdemokraten erhielt, war das einer der größten Momente in meinem Leben. Ich war geehrt, einem meiner größten Helden die Hand zu schütteln, Dr. Brandt. Es gibt Politiker, die wurden berühmt, weil sie die gesamte Welt als Handlungsraum sahen. Ein solcher Mann ist Willy Brandt.“

Das ging den Sozialdemokraten runter wie Butter. Viele der ZuschauerInnen wollten das „Symbol“ sehen, den „Gandhi“ Südafrikas, wie ein Schüler dann abends beim SPD-Empfang bewundernd zu Mandela sagte. Doch dem Realpolitiker Mandela scheint das langsam auch lästig zu werden. Jenseits des Danks für die deutsche Unterstützung, für „eure Kraft“, machte er nochmals deutlich, daß die Initiative für einen friedlichen Lösungsprozeß vom ANC ausging. „Wir verdienen das Lob.“ Die Sanktionen, die „mit Hilfe von euch, dem Volk“ initiiert wurden, wurden eingeführt, um Apartheid in allen Formen abzuschaffen und ein demokratisches, nichtrassistisches Land aufzubauen. „Davon sind wir noch weit entfernt.“ Es sei eine gefährliche Tendenz, in der jetzigen Situation de Klerks Schritte zu positiv zu bewerten und - wieder einmal - das existente Leid der schwarzen Mehrheit zu ignorieren. „Helfen Sie uns. Wir lieben Sie“, sagte der alte Mann vom Kap zum Schluß.

Abends standen Mandela und Brandt im Hotel Maritim auf der Bühne. Und als die Jugend-Theatergruppe „Sarafina“ die schwarze Nationalhymne Gott segne Afrika skandierte, sang der Mann des Friedens mit geballter Faust mit. Neben ihm der sozialdemokratische Weltarchitekt - zufrieden lächelnd.