Heißer Tag für Gorbatschow

■ Treffen mit den drei baltischen Präsidenten / Sowjetrepublik Rußland erklärt sich souverän

Moskau(ap/taz) - Für die Zukunft der Sowjetunion und ihres Präsidenten sind am Dienstag wichtige Vorentscheidungen gefallen. Gorbatschow, der noch am Vormittag in einer Rede vor dem Obersten Sowjet die Rücknahme der Unabhängigkeitserklärung Litauens zur Vorbedingung von Gesprächen gemacht hatte, empfing am Nachmittag die Präsidenten der drei baltischen Staaten. Die drei hatten ihrerseits an einer Sitzung des Föderationsrates teilgenommen, wenngleich, wie sie betonten, als Gäste. Eine solche Teilnahme war ursprünglich von den baltischen Staaten strikt abgelehnt worden. In seiner Rede vor dem Obersten Sowjet hatte Gorbatschow angesichts kritischer Stimmen zu seiner mangelnden Durchsetzungskraft erklärt, „der Präsident hat noch nicht alle Möglichkeiten seiner Macht ausgeschöpft“. Ihm käme es aber in der baltischen Frage auf eine politische Lösung an. Nach wie vor will vor allem Litauen auf keinen Fall wieder unter sowjetische Jurisdiktion geraten. Das jetzt praktizierte Verfahren, den baltischen Staaten bei den Sowjetorganen eine Art Beobachter zuzuweisen, könnte sich als Bestandteil eines künftigen Lösungsweges erweisen.

Dienstag nachmittag saß Gorbatschow im Föderationsrat einem Boris Jelzin gegenüber, dessen russische Föderation sich soeben für souverän erklärt hatte. 907 Abgeordnete hatten für die Souveränitätserklärung gestimmt, nur 13 dagegen. Freilich tritt die Deklaration nicht unmittelbar in Kraft. Sie dient, so der entsprechende Artikel, als Grundlage für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und eines künftigen Unionsvertrags. Damit ist klargestellt, daß die russische Föderation die Sowjetunion nicht verlassen möchte, obwohl sie sich in der Deklaration dieses Recht ausdrücklich vorbehält. Mit 704 gegen 206 Stimmen hatten die Volksdeputierten es zuvor abgelehnt, die Adjektive „sozialistisch“ und „sowjetisch“ aus dem Namen RSFSR zu streichen.

Für Gorbatschow wird eine starke russische Föderation zwar ein schwieriger Verhandlungspartner sein, aber auch Hauptverbündeter bei einer demokratischen Neugestaltung der Union.

C.S.