Bringt die Krise die Überlebenschance?

Die bevorstehende Währungs-Umstellung und der Abbau der Subventionen stürzt die DDR-Landwirtschaft in ein Chaos / Zulieferbetriebe durch „Eigenverantwortlichkeit“ im Schleudern / Jeder zweite der 870.000 beschäftigten Landwirte ist nach West-Kriterien überflüssig  ■  Von Birgit Schley

Beim täglichen Einkaufsbummel bietet sich immer wieder dasselbe Bild: Westliche Angebote zu 1:3-Preisen (mindestens) verdrängen die DDR-Produkte, und wo die bunte Palette noch nicht vordringen konnte, bleibt manches Regal leer. Haben die landeseigenen Produzenten vier Wochen vor der Währungsunion schon aufgegeben?

Schlachtbestände blockieren die Ställe

Bei einem landwirtschaftlichen Produktionsbetrieb im Kreis Neuruppin erklärte der LPG-Vorsitzende: „Auch wenn wir wollten, könnten wir unsere Produktionsstruktur momentan kaum verändern, da unsere überfälligen Schlachtbestände, und dies ist DDR-weit so, die Ställe blockieren und uns eher Tausende von Mark an Kosten als Gewinn einbringen. Und zu so einer Zeit greift unsere Regierung zum Rotstift, was für uns eine Einbuße von mindestens 60 Prozent unseres Gewinns bedeutet. Und diese Maßnahme erfolgt einen Moment nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages, in dem mit hochgestochenen Begriffen wie 'Anpassungs- und Preisstützungssystem‘ eine scheinbar sensible Behandlung des Agrarsektors vorgesehen ist.“

Harter Konkurrenzdruck

Der Produktionsleiter einer Börde-LPG meint dazu: „Wir müssen uns der scharfen Konkurrenz auf dem EG-Markt stellen, der unter anderem auch einen starken Druck auf die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise ausübt. Schwierig wird es da ganz sicher werden, so schnell wie möglich das westliche Niveau zu erreichen, das heißt, unsere Produktion allein nach dem Kostenvorteil auszurichten, um damit dem Grundsatz der marktwirtschaftlichen Produktion gerecht zu werden. Und wer jetzt an die Bevölkerug appelliert, das DDR -Produkt dem westlichen Erzeugnis vorzuziehen, um uns Landwirtschaftsbetrieben ein gesichertes Auskommen zu gewähren, der hat das Prinzip der Marktwirtschaft immer noch nicht verstanden. Denn jetzt entscheidet allein der Verbraucher, welchem Produkt er den Vorrang gibt.“

Diese Entscheidung wird dem Verbraucher oftmals abgenommen. In den Regalen hat „Golden Toast“ den Platz des guten alten Weißbrotes vom VEB Backwaren eingenommen und mancher Fleischstand ist leer. Eine Verantwortliche aus dem Handel, die nicht namentlich genannt sein möchte, kennt die Hintergründe: „Wir rechnen damit, daß ab Juli das gesamte Randgebiet nach Westberlin beziehungsweise in die BRD einkaufen geht. Wenn wir eigenverantwortlich wirtschaften, müssen wir erst einmal unsere Lagerbestände bis dahin räumen, um Platz für neue Produkte, auf denen eine höhere Handelsspanne liegt, zu schaffen.“ Diese Art Eigenverantwortlichkeit bringt derzeit viele Zulieferbetriebe in eine bedrohliche Lage.

In den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften herrscht derzeit auch aus einem anderen Grund große Unsicherheit. Zwar hat der BRD-Staatssekretär Georg Gallus eingeräumt, daß er die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft auf dem Gebiet der DDR als das künftig schlagkräftigste Gebiet im EG-Raum hält. Das setzt aber voraus, daß die großen Einheiten der landwirtschaftlich genutzten Flächen bestehen bleiben. Aber was wird, wenn langjährige Genossenschaftsmitglieder ihren früher privaten Grund und Boden zurückfordern können?

„Freier Markt“?

Von einem Markt, auf den man sich einzustellen habe, kann für den westeuropäischen Nahrungsmittel-Sektor eigentlich nicht geredet werden, die Landwirtschaft der Bundesrepublik wird insgesamt mit 20 Milliarden D-Mark subventioniert. Das ist zwar erheblich weniger als die 32 Milliarden Subventionen für die um ein vielfaches kleinere DDR -Landwirtschaft, aber doch alles andere als „freier Markt“. Hinzu kommen die Vorgaben und Richtlinien der Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft (EG) in Brüssel, die mit „Mengengarantien“, „Quotenregelungen“ und Flächenstillegungs -Prämien den Agrarmarkt zu planen versucht.

Allerdings scheint die Brüsseler Bürokratie insgesamt effektiver als die der DDR. Die westlichen landwirtschaftlichen Betriebe arbeiten zudem mit erheblich modernerer Technik. Jeder Zweite der 870.000 Beschäftigten in der DDR-Landwirtschaft ist nach westlichen Kriterien zuviel und treibt die Erzeugerpreise unnötig in die Höhe. Blieben die großflächigen Betriebe als Einheit erhalten und würden sie modernisiert und rationalisiert, könnte in einigen Jahren allerdings auf dem Gebiet der heutigen DDR eine ernsthafte Bedrohung für kleinere westdeutsche Landwirtschafts-Betriebe entstehen.

Die von der Regierung beschlossenen „Überwachungskommissionen“ und der Aufruf des Premiers, „mehr und qualitativ hochwertige Waren für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen“, dürften allerdings angesichts des Chaos in der Landwirtschaft wenig ausrichten.