Anne Frank als Nachbarin

■ „Die Welt der Anne Frank“ in Bremerhaven eröffnet / Lernen ohne Zeigefinger

Am 12. Juni wäre Anne Frank 61 Jahre alt geworden. An diesem Tag eröffnete die Bremerhavener Volkshochschule eine Austellung der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam, die seit 1985 durch Europa und Nordamerika wandert. Wie ein „roter Faden“ zieht sich der Weg einer Familie durch die Darstellung von Entwicklung und Erscheinungsformen des „Dritten Reichs“. Ein roter Faden sind auch die Fragen, die dem auf Jugendliche zugeschnittenen Ausstellungskonzept zugrundeliegen: „Hätte Anne Frank, zu Lebzeiten ein Mädchen unter vielen, auf unsere Hilfe rechnen können, wenn sie unser Nachbarkind gewesen wäre? Hätten wir die Ge

fahren des Faschismus erkannt?“ Texte und Fotos sind auf großformatige - von innen beleuchtete - Transparente gedruckt. Sie machen in kurzen, gut gegliederten Kapiteln Zusammenhänge zwischen der Biografie Anne Franks und ihrer Zeit sichtbar. Anne Franks Kindheit wird mit Bildern aus dem privten Familienalbum des Vaters Otto Frank illustriert, daneben Bilder einer Stadt in den 20er Jahren, soziale Verhältnisse und der Aufstieg der Nazis. Die Ausstellung versucht, alle von den Nazis verfolgten Gruppen in Texten und Bildern einzubeziehen. So wird in verschiedenen Zusammenhängen auf die Roma und Sinti, Polen,

russische Kriegsgefangene, auf Homosexuelle, auf sog. „Asoziale“, und auf Behinderte hingewiesen. Nicht ausgespart wird ein für die Niederländer schmerzhaftes Kapitel ihrer eigenen Geschichte: Die Kollaboration mit der SS, der niederländische Nazionalsozialismus, der anfangs geringe Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Mit den Schlußkapiteln werden rassistische Gewaltakte der 80-er Jahre in ganz Europa dokumentiert und die bekannten, schrecklichen Mauersprüche: „Türken, Juden raus!“

Zur Aktualität der Ausstellung erinnerte Stadtrat Horst von Hassel in seiner Begrüßung an die Äußerung eines rechtsradikalen Bre

merhavener Stadtverordneten, der vor wenigen Wochen im Stadtparlament einen Redebeitrag über die Ermordung von mehreren hunderttausend Sinti und Roma mit dem Zwischenruf „mehr nicht? - schade!“ unterbrochen hatte. Die Welt der Anne Frank 1929-1945 ist eine Ausstellung, in der gelernt werden kann, weil sie auf jeden belehrenden Zeigefinger verzichtet. Ihre große emotionale Wirkung zieht sie aus den Bildern und nicht aus pathetischen Worten.

H.H

„Die Welt der Anne Frank“ - VHS Bremerhaven, Lloydstr, 15, bis 2.Juli, täglich 8-18 Uhr. (Führungen für Schulklassen und Gruppen, Tel.: 0471/590-2841)