Schlechtes DGB-Zeugnis für Rot-Grün

■ DGB-Vorsitzender Pagels powert für Stromtrasse, HMI-Reaktor und Daimler-Benz am Potsdamer Platz / Scharfe Kritik an der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik / Polizei gegen Schwarzarbeiter / Gute Noten für Nagel, schlechte für Klein / Keine Verbesserungen für die „normale Frau“

Lange brüteten die 16 Berliner Einzelgewerkschaften über der Frage, wie die Politik des rotgrünen Senats für ihre Klientel, die Berliner ArbeitnehmerInnen, zu bewerten sei. Gestern servierte der DGB-Vorsitzende Michael Pagels dem rot -grünen Senat und der Presse eine 18 Seiten umfassende Kritik.

Im ureigensten Bereich der Gewerkschaften, der Arbeitsmarkt - und Wirtschaftspolitik, unterscheidet sich die Senatspolitik laut Pagels nicht vom bisherigen CDU/FDP -Senat. Die Berlinförderung sei noch nicht reformiert. In der Region Berlin-Brandenburg sei künftig mit circa einer halben Million Arbeitslosen zu rechnen. Nicht einmal die von der Koalition versprochenen beschäftigungswirksamen Maßnahmen sieht Pagels bislang verwirklicht. Geschätzte 40.000 bis 50.000 SchwarzarbeiterInnen akzeptiert der Senat nach Ansicht des DGB „sehenden Auges“ anstatt die Polizei aufzustocken.

Auf solche Kritik reagierte prompt Wirtschaftssenator der SPD, Peter Mitzscherling. Die DGB-Forderung nach sofortiger Reform der Berlinförderung sei „nicht hilfreich“, wenn der Senat gleichzeitig sich in Bonn für die Erhaltung und Ausweitung derselben einsetze. Im übrigen unternehme der Senat alles, um „vorübergehende Friktionen“ beim Aufbau der sozialen Marktwirtschaft in der DDR zu mildern.

Der DGB vermißt in wichtigen politischen Fragen klare Entscheidungen. Im Falle der zur Zeit in der Öffentlichkeit heftig umstrittenen Projekte plädieren die Gewerkschaften ganz pragmatisch für den Hahn-Meitner-Reaktor und für die Stromtrasse. Daimler-Benz sollte vom Senat eine klare Zusage für den Bereich Potsdamer Platz erhalten. Folgerichtig erhält als einer der wenigen Bausenator Nagel mit seiner „Augen-zu-und-durch-Politik“ gute Noten. Pagels: „Einer, der Entscheidungen trifft.“

Um dem Senator mit seiner vom DGB unterstützten Wohnungsbaupolitik freiere (Innenstadt-)Bahn zu schaffen und unliebsame Bürgerinitiativen zu bremsen, fordert Nagels -Pagels in wohnungsbaupolitischer Hinsicht gleich noch eine Reduzierung der Kompetenzen der Bezirksämter. Um die Wohnungsnot zu lindern, sei endlich die versprochene Mietpreisbindung zu schaffen, außerdem solle der Senat eine „aktive Grundstücksvorratspolitik“ betreiben. Daß dieser dabei im Fall des Potsdamer Platzes auf Schwierigkeiten stoßen dürfte, verschwieg der DGB-Chef allerdings.

Auch mit dem ökologischen Stadtumbau gerät der DGB in die Bredouille. Einerseits ist er dafür, andererseits beklagt er die langsame Umsetzung des Programms, wohl wissend, daß der „entscheidungsfreudige“ Nagel die Ökologie vernachlässigt.

Noch einmal bekräftigte Pagels die Kritik von ÖTV und GEW an der katastrophalen Kita- und Schulsituation und forderte einen Tarifvertrag und Arbeitszeitverkürzungen im öffentlichen Dienst. Nicht nur die Schulsenatorin, auch die ebenfalls von der AL nominierte Frauen- und Jugendsenatorin Anne Klein kommt beim DGB-Chef schlecht weg. Frauenpolitisch sei „für die normale Frau“, was immer Pagels darunter versteht, keine Verbesserungen erkennbar, die Familien- und Jugendpolitik lasse Senatorin Klein gar „am langen Arm verhungern“.

Einen klaren Bruch der Koalitionsvereinbarungen sehen die Gewerkschaften in der Nicht-Umsetzung des Ausländerwahlrechts, die Kultur- und Medienpolitik sei „ohne Ergebnisse“. Überhaupt gebe es zuviel Streit in der Koalition, SPD und AL paralysierten sich oft gegenseitig. Dafür menschelt es jetzt mehr. Wenigstens das Klima zwischen Gewerkschaften und Senat findet Pagels jetzt besser als zu Zeiten der CDU/FDP-Regierung.

anb