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„Afrikaner nagelten Tulpen fest“

■ Wieder eine wunderbare Überraschung: Ägypten erzielt nach grandiosem Spiel ein 1:1 gegen die Europameister aus Holland / Gullit spielte bescheiden, Van Basten gar nicht mit. / Volksfest, Tanz und Hupkonzerte in Kairo

Berlin (taz) - Wie tönte Ruud Gullit vor der WM: „Wir brauchen keine Mannschaft der Welt zu fürchten.“ Jetzt, nach dem sensationell mageren 1:1 gegen die begeisternd spielenden Ägypter ist dem holländischen Superstar angst und bange. Was er und seine Europameister-Mannschaft zum WM -Debut boten, war dermaßen kläglich, daß selbst Fernsehreporter G.-P. Ploog verärgert das Favoritenpferd wechselte und völlig enthemmt die Nordafrikaner anfeuerte: „Gerechtigkeit muß siegen. Haltet durch, ihr Ägypter!“

Uns sie hielten: „Die Afrikaner nagelten die Tulpen fest“, dichtete tags darauf die italienische Zeitung 'La Stampa‘, und der 'Corrierre dello Sport‘ feierte die „Große Nacht der Pharaonen.“

Weniger enthemmt, dafür der Würde seines Amts entsprechend telegrafierte der ägyptische Staatspräsident Husni Mubarak nach Italien: „Ihr wart ein ehrenvolles Bild für die gesamte ägyptische Jugend.“ Währenddessen feierte und tobte sein Volk auf den Straßen und Plätzen des Landes. In der 15 Millionen-Stadt Kairo war die Hölle los. Böller zerbarsten am Himmel, in den Kaffeehäusern wurden ohne Ende Kaffee- und Teerunden geworfen, bis in die frühen Morgenstunden verstopften Autokonvois hupend die Straßen. „Von der Seite und von oben, Holland ist am Boden“, krähte das Volk ohne Unterlaß und lobte und pries abwechselnd Trainer „Allahu Akhbar“ und Allah.

„Die Pharaonen zerstörten den Mythos Holland“, jubelte auch die Zeitung 'Al Gomhouria‘. Tatsächlich schien der Europameister schon während des Spiels am Boden zerstört. 33.288 Zuschauer bestaunten im Favorita-Stadion von Palermo statt der Künste der Favoriten das offensive, ideenreiche und technisch anspruchsvolle Spiel der Nordafrikaner, das ab und an den Schimmer des Genialen erahnen ließ.

Dagegen wirkten die Mannen um Gullit linkisch, unsicher, ja stellenweise albern. Saft- und kraftlos stürmten sie, frisch und gefährlich hingegen sprintete und dribbelte der afrikanische Kollege Abdul el Kass von Olympique Alexandria, der ein ums andere Mal Keeper Hans van Breukelen zu Traumparaden veranlaßte.

„Gullit verlor oft das Gleichgewicht, Rijkaard den Ball und Van Basten die Verbindung“, urteilte die 'Herald Tribune‘ treffend. Nur einmal haben die Ägypter nicht aufgepaßt, ließen eine kleine Lücke in der Deckung, der eingewechselte Wim Kieft schlüpfte in der 57. Minute hindurch und traf in Shobeirs Kasten, was die Zuschauer zu lautem Pfeifkonzerten bewog.

Doch die schon öfter strapazierte und WM-erfahrene Hand Allahs ist verläßlich: Fleischgeworden in dem Holländer Koeman, klammerte und riß sie an Hassan, der gerade noch rechtzeitig den Strafraum erreichte, um sich dort effektvoll abzulegen. Elfmeter, entschied der spanische Schiedsrichter Emilio Soriano Aladren. Und er entschied zwar falsch, aber weise. Abdel Ghani verwandelte zum mehr als verdienten 1:1 -Ausgleich.

„Wir sind noch gar nicht in bester Form und können uns sicher noch steigern“, drohte der ägyptische Trainer nach der Sensation. Leo Beenhakker und seine Holländer wollen hingegen „vier Tage lang überlegen, Fehler analysieren und korrigieren“. Was sicher von Nöten ist, auch gegen die farblosen Teams von England und Irland, will Holland seine Achtelfinal-Chancen wahren.

Überlegen sollte auf jeden Fall auch der Weltfußballverband FIFA, und zwar, ob er nicht zukünftig statt der bisher zwei mindesten drei Afrika-Teams zulassen soll.

miß

Niederlande: van Breukelen - van Aerle, Ronald Koeman, Rijkaard, van Tiggelen - Vanenburg (46. Kieft), Wouters, Erwin Koeman (69. Witschge), Gullit - van Basten, Rutjes

Ägypten: Shobeir - Hany Ramzy - Ibrahim Hassan, Yakan, Ahmed Ramzy (69. Tolba) - Yassein, Youssef, Abdel Hamid (69. Abdel Rahman), Abdel Ghani - Hossam Hassan, Abdou el Kass

Zuschauer: 33.288

Tore: 1:0 Kieft (57.), 1:1 Abdelghani (83./Foulelfmeter)

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