„Oh Saddam'unsere Sonne“

Im Irak regiert „al qiswa“ - die harte Hand / Ölreichtum und Aufrüstung / Führerkult um Staats- und Parteipräsident Saddam Hussein / Der Geheimdienst ist allgegenwärtig / Deportationen, Folter und Massenhinrichtungen  ■  Von Walter Saller

Einst zählte Mesopotamien, das Gebiet des heutigen Irak, zu den reichsten Gebieten der Erde. Zur Blütezeit der arabischen Abbassiden-Kalifen im 10. Jahrhundert lebten im Land zwischen Euphrat und Tigris mehr als 20 Millionen Menschen. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts aber fand mit dem Einfall der Mongolen eine der bedeutendsten islamischen Hochkulturen ihr jähes Ende. Die Osmanen, unter deren Herrschaft das Zweistromland dann geriet, scherten sich kaum um die ferne Provinz und ließen Mesopotamiens aufwendiges Bewässerungssystem und die prächtigen Bauten weiter verfallen.

Aus der Herrschaft des Osmanischen Reiches, das nach dem Ersten Weltkrieg kollabierte, ging der Irak aufgrund des Völkerbundbeschlusses von San Remo unmittelbar in europäische Hände über und wurde zum britischen Mandatsgebiet erklärt. Nationalistische Aufstände, die sich gegen die britische Kolonialmacht richteten, erfaßten das ganze Land. Die anhaltenden Unruhen ließen die Engländer zu einer neuen Taktik greifen. Sie führten wie in Jordanien eine haschemitische Erbmonarchie ein.

Ihr Ziel indes, damit das Volk zu beruhigen und die eigene Macht zu festigen, erreichte die britische Krone nicht. Als auch die formale Unabhängigkeitserklärung von 1932 nichts an der britischen Dominanz änderte, flammten die Aufstände erneut auf. Doch erst mit der nasseristisch inspirierten Revolution der „Freien Offiziere“ von 1958 und mit der anschließenden Ausrufung der ersten irakischen Republik fand die englische Vorherrschaft ihr Ende.

In den späten siebziger Jahren stand die Arabische Republik Irak vor einer vielversprechenden Zukunft. Das Land war reich. Seine geschätzten Ölreserven galten, nach denen Saudi -Arabiens, als die zweitgrößten im Nahen Osten. Es gab genug Wasser und fruchtbare Böden; der Staat verfügte über gut ausgebildete Eliten. Offenbar waren die Zukunftsaussichten so glänzend, daß sie der irakischen Führung den Blick trübten. Und so rollten 1980 irakische Panzer siegesgewiß in den benachbarten Iran. Der achtjährige Golfkrieg nahm seinen Anfang - er erwies sich als überaus verlustreich und endete vorerst in einem militärischen Patt.

Seit der irakische Präsident Saddam Hussein im Juli 1979 von seinem moribunden Onkel der Einfachheit halber gleich das Präsidentenamt, den Vorsitz von Baath-Partei, regierendem Kommando- und Ministerrat sowie den Oberbefehl über Heer, Lufwaffe und Marine übernahm, wird das Land mit harter Hand geführt. Saddam Hussein, der stets für ein markiges Wort gut ist, meinte denn auch, die „stalinistische Epoche des Irak“ habe nun begonnen.

Damit hatte der Präsident keineswegs zu viel versprochen. Wie einst die absolute Macht des georgischen Despoten ruht auch die des mesopotamischen auf Partei und Geheimdienst. Um die Menschenrechte ist es folglich im Land zwischen Euphrat und Tigris denkbar schlecht bestellt. Die Gefängnisse und Lager des Landes sind mit politischen Häftlingen überfüllt. Mehr als 30 Arten der Tortur werden nach „amnesty international“ im Irak angewandt. Darunter das Ausbrennen der Augen mittels starker UV-Strahlung, das Foltern von Kindern in Gegenwart ihrer Eltern, um diese zu Aussagen zu zwingen, das Abtrennen von Körperteilen und Versuche mit Giftgas. Auch Massenhinrichtungen und die Deportation ganzer Bevölkerungsgruppen wie der Kurden - allein seit 1987 wurden mindestens 500.000 Kurden aus den sogenannten „Sicherheitszonen“ entlang der iranischen Grenze deportiert

-oder gar die Vernichtung ganzer kurdischer Dörfer durch Giftgas, wie im März 1988 in Halabscha geschehen, sind an der Tagesordnung.

Der Strategie der „al-qiswa“, der einschüchternden Härte und des verunsichernden Terrors als Mittel der Machterhaltung, ist bislang durchschlagender Erfolg beschieden. So wurde denn Saddam Husseins uneingeschränkte Machtposition selbst durch den völlig unpopulären und glücklosen Golfkrieg kaum erschüttert. Doch wer nach Kriegsende mit einer maßvolleren Politik des irakischen Präsidenten gerechnet hatte, sah sich bald getäuscht. Außenpolitisch blieb er unberechenbar wie je zuvor und auch innenpolitisch machte er durch Gesetzesänderungen von sich reden, die geradezu archaisch anmuten: zum Beispiel wurde den irakischen Männern gestattet, weibliche Familienangehörige - inklusive der eigenen Mutter, Großmutter und der Cousinen - auf der Stelle zu töten, wenn sie diese beim Ehebruch ertappen.

Was die Iraker über ihren Führer denken, an dessen Ehren und Geburtstagen sie Hymnen wie Oh Saddam, du bist unsere Sonne, dir folgen wir schmettern müssen, mag dahingstellt bleiben. In der arabischen Welt genießt er als Exponent eines neuen arabischen Selbstbewußtseins aber zweifellos einige Sympathien. Er hat, wie viele Araber meinen, dem friedensunwilligen Israel gegenüber Stärke demonstriert, während alle anderen arabischen Führer sich als schlappe Präpotentaten erwiesen haben.

Mit aller Energie arbeitet Saddam Hussein nun daran, diese Position der Stärke auszubauen und sein Land, das bei nur 17 Millionen Einwohnern eine stehendes Heer von mehr als einer Million Soldaten unterhält, zur Atommacht hochzurüsten. Und dabei verfährt die irakische Führung so eklektizistisch wie mit der sozialistischen Baath-Ideologie: Sie sucht sich zusammen, was sie gebrauchen kann. Durch ein Netz von Strohmännern und Scheinfirmen, aber auch durch ungeniert offene Ankäufe hat sich Bagdad in nahezu allen westlichen Industrieländern hochbrisante Rüstungsfragmente beschafft. Die irakischen Endprodukte erhielten dann metaphorische Namen: „Aabed“ (Anbeter) heißt beispielsweise eine weitreichende Boden-Boden-Rakete. „Badr 2000“ (Vollmond 2000) eine andere. Der Irak ist gegenwärtig einer der lukrativsten Märkte für Rüstungstechnologie.

Wirtschaftlich ist die Lage des Landes undurchsichtig. Trotz des überaus fruchtbaren Bodens muß der Irak einen Großteil seiner Lebensmittel einführen. Die Inflationsrate wird auf 40 Prozent geschätzt. Angeblich belaufen sich allein die irakischen Kriegsschulden - vor allem bei den arabischen Golfnachbarn - auf 80 Milliarden US-Dollar. Dazu kommen, grob geschätzt, allgemeine Auslandschulden von 60 Milliarden US-Dollar. Doch trotz dieser schier unglaublichen Summen soll das Zweistromland, das jedenfalls behaupten Wirtschaftsoptimisten, dank des irakischen Öl-Ozeans in fünf bis sechs Jahren wieder liquide sein. Der Direktor der irakischen Zentralbank, Subhi Franghoul, hat auch schon eine ebenso einfache wie effektive Kur für die Staatsfinanzen im Auge: „Wir betrachten die Mittel, die uns unsere arabischen Brüder gegeben haben, nicht als Schulden. Das war schlicht brüderlicher Beistand.“