Beklemmung und falsche Töne in Bagdad

Das irakische Regime brauchte die Berichterstatter aus aller Welt als dekoratives Element der arabischen Gipfelfeier / In Bagdad herrscht eine Atmosphäre des Mißtrauens und der Angst / Im März wurde der Journalist Farzat Bazoft als Spion hingerichtet / Zensur und Propaganda in einer modernen Despotie  ■  Aus Bagdad Walter Saller

„Sie halten deine Schleppe“, sagte der alte Schakal erklärend und ernsthaft, „eine Ehrbezeigung.“ „Sie sollen mich loslassen!“ rief ich. „Sie werden es natürlich“, sagte der Alte, „wenn du es verlangst. Es dauert aber ein Weilchen, denn sie haben nach der Sitte tief sich eingebissen und müssen erst langsam die Gebisse voneinander lösen.„ (Franz Kafka: Schakale und Araber

Zur Ehrbezeigung halten Mitarbeiter des irakischen Geheimdienstes dem einreisenden Journalisten in Bagdad stets die imaginäre Schleppe und haben nach der Landessitte tief sich darin eingebissen. Erst bei der Abreise werden sich ihre Gebisse langsam voneinander lösen.

Das moderne und effiziente Bagdad ist nicht die Stadt von Tausend und einer Nacht. Und doch besteht eine enge Verbindung zu Scheherezade, die Nacht um Nacht mit ihren Geschichten und Gleichnissen dem grausamen Sultan Scheherban seine mörderischen Absichten ausredete. Allgegenwärtige Überwachung und Unterdrückung bewirkt, daß auch bei politischen Gesprächen im heutigen Bagdad das Parabel- und Märchenhafte eine besondere Rolle spielt. Denn im Land zwischen den Strömen, wo bereits der Präsidentenwitz mit dem Tode bedroht ist, weiß jedes Kind, wie schnell man sich buchstäblich an der eigenen Zunge verschlucken kann. Am Tigris verscheucht man das störende, mistkratzende Huhn nicht mit ksch-ksch. Man zerbricht ihm gleich die Füße.

Das engmaschige Netz, mit dem Polizei- und Sicherheitskräfte Bagdad überzogen haben, macht die Stadt am Tigris zur Stadt der gedämpften Töne. Es ergeht dem Fremden wie dem Leichnam des beim Gastmahl erstickten Buckligen in Tausend und einer Nacht, der aus Angst vor der Unberechenbarkeit der Behörden von Tür zu Tür geschoben wird. Man meidet ihn. Denn unter den Bedingungen totaler Macht sind die Folgen jeglicher Kontaktaufnahme zu Fremden unabsehbar.

Perfekt funktionieren Psychologie und Physik des Terrors am Tigris. „Der Machtspezialist“, schreibt Karl A. Wittfogel in seiner Orientalischen Despotie über die Technik des Terrors, „muß die physischen Mittel zur Vernichtung seiner Opfer besitzen. Er verfügt uneingeschränkt über die Armee, die Polizei und den Nachrichtendienst. Er hat Gefangenenaufseher, Folterknechte, Henker und alle Werkzeuge, um eine Verdachtsperson festzunehmen, zu martern und zu töten.“ Der irakische Präsident Saddam Hussein hat seine intime Kenntnis der Terrormechanik hinlänglich bewiesen. Zur Psychologie des Terrors merkt Wittfogel an: „Die Taten einer despotischen Regierung sind der Natur der Sache nach mysteriös. Unberechenbarkeit ist eine wesentliche Waffe des absoluten Terrors.“

Es ist diese Psychologie des Terrors, die auch den Journalisten auf Schritt und Tritt begleitet. Nichts ist eigentlich verboten. Und doch wird fortwährend in Koffern und Computern geschnüffelt, werden Papiere und Fotoapparate kontrolliert. Verwanzt sind die Zimmer, und in Bar und Restaurant, auf Hotelfluren und beim Gang durch die Straßen ist die Geheimpolizei unübersehbar allgegenwärtig. Schon bald wähnt sich der so Behandelte, egal was immer er tut, auf den Schleichpfaden verbotener Neugierde.

Freilich, an der Aufmerksamkeit, die einem hier in so überreichem Maße zuteil wird, mangelt es naturgemäß andernorts. Denn obwohl die Presse zur Berichterstattung über das Bagdader Gipfeltreffen der Arabischen Liga geladen wurde, mag sich kein noch so geringer Abgesandter des irakischen Informationsministeriums mit dem Journalisten abgegeben. Verbindliche Informationen sind Mangelware. Jeder Gesprächspartner äußert sich gewissermaßen sub-rosa, was gemeint ist, muß man heraushören, und in jeder Aussage schwingt der Unterton des Zweifels. Selbst die Gipfelschlußresolution der arabischen Potentaten kursiert in vier unterschiedlichen „Drafts“. Ausgerechnet die Version, die ein arabischer Kollege via Kairo in die Hände bekommt, erweist sich beim Redenvergleich als die gültige.

Wenn sich indes die Informationen nicht vermehren wollen, so bekommen doch zumindest die tatsächlichen oder vermeintlichen irakischen Nachrichtentabus immerfort Junge. Das „Anpinkeln“ des Präsidenten sei eigentlich das einzige Tabu, meint ein Kollege. Nein, nein, widerspricht ein anderer und will auch die Thematisierung der Kurdenfrage zu den journalistischen Todsünden gezählt wissen. Ein dritter dagegen meint, jede Recherche über die „nationale Sicherheit“ sei, als hätte man bei einem mesopotamischen Gastmahl mit dem Messer gegessen. Und ein weiterer will gar jegliches Antasten der „nationalen Ehre“ (der journalistischen Phantasie sind bei diesem Begriff offenbar keinerlei Grenzen gesetzt) absolut vermieden wissen.

Die Schere im Kopf funktioniert. Nicht zuletzt das Beispiel des im März als „Spion“ hingerichteten 'Observer' -Journalisten Farzat Bazoft zeitigt - ausgesprochen oder nicht - bei allen durchaus nachhaltige Wirkung. Einem deutschen Kollegen bereitet bereits die schon vor langem gebrauchte Formulierung, „Saddam Hussein, der arabische Ceausescu“, Bauchgrimmen.

Da er auf keinerlei andere Arbeitsmöglichkeiten zurückgreifen kann, schaltet der Journalist das Fersehgerät ein. Und dort bietet sich ihm wieder und wieder das eine Bild: Einen gewaltigen Berggipfel, dessen schneeglitzernde Gletscherhaube die Konturen der Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga formen, umkreisen wie Kometen deren Nationalflaggen. Stets leitet dieses Fersehlogo die in rasender Schnittfolge wirksam ins Bild gesetzte Quersumme aller irakischen Träume ein: Wogende Weizenfelder und fulminante Fontänen, marschierende Massen und moderne Maschinen, sich umarmende arabische Potentaten und militärische Potenz. Im Drei-Minuten-Spot finden so die epochalen Ziele des Präsidenten ihre Illustration. Bekanntlich gibt es aber eine deutliche Relation zwischen der Größe der Ziele und der Höhe der Leichenberge, die es aufzutürmen gilt, um jene zu verwirklichen.

Eine Überraschung hat das Fernsehen dann aber doch zu bieten. Sie liegt in der Person Saddam Husseins. Zwar sind viele der Präsidentenworte gezielt wie Schüsse. Aber sie tragen nicht weit. Denn ein charismatischer Führer ist er nicht. Er wirkt phlegmatisch, spricht leise und langsam und sucht oft nach Worten, als habe er mit einer Sprachstörung zu kämpfen.

Das Übermitteln der ohnehin spärlichen Informationen via Telefax oder Telex in die heimatliche Redaktion erweist sich als unüberwindliche Hürde. An den Fax-Geräten sitzen Beamte wie große Buben und machen im wahrsten Sinne des Wortes nur Faxen. In der Redaktion jedenfalls kommt die inhaltliche Gipfeleinschätzung - wie bei vielen Kollegen - trotz zahlloser Versuche nie an.

Warum nur, beginnt sich der Journalist zu fragen, ist er trotz dieser Bedingungen von der irakischen Regierung geladen worden? Als die ausländischen Berichterstatter wieder und wieder vom irakischen Fersehen gefilmt werden, meint ein kanadischer Kollege trocken: „Wir sind nur Staffage, Kulisse, Dekoration, um allen das Weltinteresse an Iraks Präsidenten zu beweisen.“

Langjährig Ansässige in Bagdad wissen hinter vorgehaltener Hand von verschwundenen Europäern zu berichten, von seltsamen irakischen-deutschen Kooperationen und neuen Varianten der Bazoft-Geschichte. Man wird in Bagdad zum Zweifler. Aber nicht, weil man nichts glaubt, sondern weil man alles für möglich hält.