Verlogene Empörung

■ Die Verhaftungen ausgestiegener RAF-Mitglieder in der DDR

Kalte Krieger betrachten jede politische Bewegung auf gegnerischem Terrain - selbst die terroristische - unter der einzigen Maxime: Gut ist, was der andern Seite schadet. Diese Erkenntnis, die in beiden Richtungen gilt, ist wahrlich nicht neu, und insofern scheint manche öffentliche Empörung über die Rolle des SED-Staates bei der Aufnahme ausstiegswilliger Militanter aus dem Westen verlogen. Der reale DDR-Sozialismus hat die ihm fremden Desperados gewähren lassen, solange sie im Westen agierten. Gegen eine Destabilisierung der kapitalistischen Verhältnisse konnte es aus seiner Sicht keine Einwände geben.

Der Kalte Krieg ist Geschichte. Um so mehr muß verwundern, daß nun ausgerechnet die Aufnahme ausstiegswilliger RAF -Aktivisten als endgültiger Nachweis der abgrundtiefen Verkommenheit der Mielke-Truppe genommen wird. Sicher, die DDR als Rückzugsgebiet anzubieten, entsprang nicht einem plötzlichen Anflug von Humanität. Es ging wohl eher darum, den befreundeten Befreiungsbewegungen in Palästina zu Diensten zu sein, auf deren Vermittlung die Stasi-RAF -Verbindung maßgeblich zurückgeht. Vielleicht hoffte man auch, von den dankbaren Neubürgern Informationen über die westlichen Sicherheitsdienste erhalten zu können, die auf anderen Wegen so „authentisch“ nicht zu kriegen waren. Aber niemand kann erklären, wie Susanne Albrecht als Sprachlehrerin an der Ingenieurschule in Köthen die Weltrevolution vorangetrieben haben soll. Ähnliches gilt für Inge Viett, die vielleicht, ohne die Möglichkeit des Rückzugs, den Absprung nicht geschafft hätte.

Bleibt der Vorwurf, die DDR habe die ehemaligen RAF -Mitglieder ihrer „gerechten Strafe“ entzogen. Abgesehen davon, daß den in Plattenbauweise errichteten Wohnsilos in Berlin-Marzahn rein äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Isolationsbunker in Stuttgart-Stammheim nicht abzusprechen ist: Wo unterscheiden sich im Ergebnis die Angebote des bundesdeutschen Verfassungsschutzes an ausstiegswillige RAF-Kämpfer von dem, was die DDR offenbar seit zehn Jahren praktiziert? Warum empören sich jetzt ausgerechnet diejenigen, die vor Jahresfrist im Bundestag für eine Kronzeugenregelung die Hand hoben, die Mördern weitgehende Straffreiheit zusichert, wenn sie nur ihre ehemaligen Gesinnungsgenossen denunzieren. Schließlich muß die Frage erlaubt sein, ob die nun offenbare DDR-Lösung das RAF-Problem nicht effektiver löst als alle Hochsicherheitstrakte der Bundesrepublik zusammen. Ohne Gefangene und Isolationshaft wäre die RAF längst ebenso Geschichte wie der Kalte Krieg.

Gerd Rosenkranz