Ausländerbeauftragte gegen Schäuble-Gesetz

■ Die Ostberliner Ausländerbeauftragte will die Übernahme des bundesdeutschen Ausländergesetzes verhindern / Statt dessen Hilfestellung für ausländische Arbeitnehmer / „Bislang zu Arbeitsinstrumenten degradiert“ / Beitritt zu Genfer Flüchtlingskonvention gefordert

Am Anfang stand ein Hilferuf: auf ihrer ersten Pressekonferenz bat Anetta Kahane, Ausländerbeauftragte des Berliner Magistrats, die Medien um einen sensibleren Umgang mit dem Thema „AusländerInnen“. „Die Fremdenfeindlichkeit ist hier sehr groß“, Artikel wie jüngst in westlichen wie östlichen Zeitung über „Flüchtlingsströme und -fluten“ seien da nicht sehr hilfreich.

Kritik übte die Berliner Ausländerbeauftragte an der vom Innenministerium avisierten Übernahme des bundesdeutschen Ausländergesetzes. Ein entsprechendes Plagiat war von den Vertretern des Innenministeriums Anfang letzter Woche in der zuständigen Rechtskommission vorgelegt worden. In der Kommission, die im Auftrag des Ministerrats ein „eigenständiges Ausländergesetz“ erarbeiten soll, sitzen außerdem VertreterInnen der Ministerien für Arbeit und Soziales, Justiz, Finanzen, sowie die Ausländerbeauftragte beim Ministerrat, Staatssekretärin Almuth Berger, und ihre Berliner Kollegin. Gegenüber dem bereits von Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Gesetz aus dem Hause des Bundesinnenministers Schäuble waren nur geringfügige Änderungen vorgenommen worden. „Dieses Gesetz ist für die DDR weder tragbar noch realisierbar“, so Kahane, „da die Bedingungen für Ausländerpolitik hier ganz andere sind.“ Statt dessen präsentierten Kahane und ihre MitarbeiterInnen detaillierte Vorschläge für eine Übergangsregelung für den Aufenthalt von Nicht-Deutschen.

Dringend notwendig sind nach Ansicht der Ausländerbeauftragten der sofortige Beitritt der DDR zur Genfer Flüchtlingskonvention, ein Asylrecht, das Menschen nicht nur aus politischen, sondern auch aus Gründen rassischer und religiöser Verfolgung Zuflucht gewährt. Von der Ausweisung oder anderen polizeilichen Maßnahmen Betroffene sollen in Zukunft rechtliche Einspruchsmöglichkeiten haben. Nach dem bislang geltenden Ausländergesetz der DDR von 1979 konnte eine Ausweisung ohne Begründung verhängt werden. Über diese Punkte besteht nach Angaben der Berliner Ausländerbeauftragten „weitgehend Zustimmung“ in der Kommission. Bis Ende des Monats soll die Übergangsregelung der Volkskammer vorgelegt und abgestimmt werden.

Von entscheidender Bedeutung ist die Regelung auch für die rund 90.000 ArbeiterInnen aus Vietnam, Mosambik, Angola, Cuba und Polen, die auf Basis bilateraler Verträge für vier oder fünf Jahre in die DDR geholt wurden. Einst begehrt, um das Plansoll zu erfüllen, droht ihnen nun als erste die Entlassung. Der Rausschmiß ist zwar vertragswidrig, da die Abkommen bis Ende der Laufzeit weiterhin völkerrechtlich bindend sind. Viele Kombinate, die selbst kurz vor der Auflösung stehen, schert das jedoch wenig. AusländerInnen wird gekündigt, viele haben bereits die Heimreise angetreten - wie freiwillig das geschah, wußte man im Büro der Berliner Ausländerbauftragten nicht zu sagen.

In Nachverhandlungen mit den Regierungen von Vietnam, Mosambik und Angola hat die Staatssekretrin für Ausländerfragen, Almuth Berger, in den letzten Wochen versucht, den harten Aufprall auf dem Boden der freien Marktwirtschaft gerade für die Gruppe der ausländischen Werktätigen etwas abzumildern. Wer freiwillig seinen Betrieb verlassen will, soll wenigstens für die folgenden drei Monate noch 70 Prozent des Lohns als Abfindung gezahlt bekommen. Das Verbot des Familiennachzugs soll entfallen. Wer bleiben will - und das wollen vor allem die VietnamesInnen - dem soll ein Bleiberecht ebenso wie Handel und Gewerbefreiheit eingeräumt werden. Im Falle der Übernahme des bundesdeutschen Ausländergesetzes wären diese Vorschläge Makulatur. Die ausländischen ArbeiterInnen müßten dann in der Regel sofort die Heimreise antreten. Noch hat allerdings der Ministerrat den Vorschlägen der Staatssekretärin Berger nicht zugestimmt. Eine Entscheidung wird für nächste Woche erwartet.

Anetta Kahane sieht im Umgang gerade mit den ausländischen ArbeiterInnen auch eine moralische Weichenstellung für die DDR-Gesellschaft, denn „bislang sind diese Menschen zu Arbeitsinstrumenten degradiert worden“. So deutlich wollte man sich im Ministerrat noch nicht ausdrücken. Dort gilt die Anwesenheit der AusländerInnen weiterhin als ökonomisches Problem, man konnte sich immerhin aber auf die Feststellung einigen, daß eine „unzumutbare Belastung des Arbeitsmarktes durch ausländische Arbeitnehmer nicht zu erwarten sei“.

anb