Aktion „Durchbruch“ - die Mauer im Abriß

Der „Antifaschistische Schutzwall“ fällt in aller Stille: Die Berliner haben die „historischen Stunden“ und „symbolträchtigen Orte“ satt / Anders in Monte Carlo: Dort kommen hundert Meter „Geschichte“ aus Berlin unter den Hammer  ■  Von Claus Christian Malzahn

Berlin (taz) - Eine Bauarbeitertruppe konnte es schon in der vergangenen Woche nicht mehr abwarten. Die Mitarbeiter des Berliner Tiefbauunternehmens spuckten in die Hände und setzten den Bagger in Gang. Voller Tatendrang kutschierten sie Autodrehkran und Schweißgeräte in die Kreuzberger Adalbertstraße, um endlich nach Berlin-Mitte durchzubrechen. Doch der Baggerführer legte nur zwei Mauersegmente flach. Nach wenigen Minuten kam ein Dutzend DDR-Grenzsoldaten und stoppte die Aktion: die eifrigen Bauarbeiter, die den Betonwall zum Nulltarif abreißen wollten, hatten ganz vergessen, ein Amt über ihr Vorhaben zu informieren.

Seit gestern läuft die Aktion „Durchbruch“ nun ganz offiziell. Bis zum 1.Juli, dem D-Mark-Day, werden 39 durch die Mauer zerhackte Straßen wieder miteinander verbunden. 170 Millionen D-Mark kostet nach Schätzungen der Bauverwaltung die Wiederherstellung aller Verbindungswege von West- nach Ost-Berlin. 30 Millionen werden für die gestern angelaufene Sofortaktion veranschlagt. Wer das alles bezahlen soll, ist noch nicht ganz geklärt, die Berliner Stadtregierungen liegen in dieser Frage mit dem Kabinett de Maiziere im Clinch.

Denkmalspfleger retten Reste im Wedding

Den Startschuß für die letzte Abrißphase gaben gestern Bausenator Wolfgang Nagel und sein Ost-Pendant, Baustadtrat Eckehard Kraft. Mit Plastikhelmen ausstaffiert bedienten sie an „symbolträchtigem Ort“ den Baggerhebel: Die Show für die Medien fand in der Weddinger Ackerstraße statt. Rund fünfhundert Berliner schauten vormittags zu, als Wachtturm und Betonplatten verladen wurden. An dieser Stelle waren in den sechziger Jahren mehrere Ostberliner bei Fluchtversuchen erschossen worden. In der benachbarten Bernauer Straße soll die Mauer deswegen in einer Länge von 300 Metern stehenbleiben - als Freilichtmuseum und Mahnmal. Obwohl die Berliner Presse noch einmal kräftig getrommelt hatte, scheint der nun begonnene Abriß des 140 Kilometer langen Betonrings in und um Berlin den meisten Einwohnern egal zu sein. Die Bewohner zerschnittener Straßen freuen sich zwar über die neuen Übergänge, an denen ab 1.Juli nicht mehr kontrolliert werden soll, Stadtgespräch ist der Fall der Mauer aber nicht.

Auf zu Aldi

Zu oft schon wurde das Schleifen der Mauer von Politikern und Presseleuten beschworen, und die nicht enden wollende Anhäufung „symbolträchtiger Orte“ und „historischer Stunden“ hat die BerlinerInnen eher gleichmütig gemacht. „Det is jut. Da vorn is jleich 'n Aldi!“ kommentierte eine pragmatisch orientierte Bewohnerin der Ackerstraße Ost den neuen Ausblick auf die Ackerstraße West, schaute in ihr Portemonnaie und zog noch während der Feierstunde von dannen. Auch den SchülerInnen einer 7.Klasse aus dem Wedding, die von ihrer Geschichtslehrerin zum Zeitzeugen -Unterricht an den „Schutzwall“ gezerrt worden waren, war der Ernst des Augenblicks nicht nachvollziehbar. Statt ehrfurchtsvoll der Verlade-Aktion der Mauerkrone beizuwohnen, suchten sie das Gelände nach Betonbröckchen ab. „Farbe bringt die meiste Knete!“ verriet ein 14jähriges türkisches Mädchen, die die Mauerstückchen am Nachmittag am Checkpoint Charlie an Japaner und US-Bürger verkauft.

Inzwischen sorgt die Mauer nur noch in weiter Ferne für Furore: In Monte Carlo kommen am 23. Juni „100 Meter Geschichte unter den Hammer“, eine Auktion zugunsten des Gesundheitswesen der DDR. Bis man am Mittelmeer begreift, daß in Berlin längst andere Geschichten gemacht werden, haben die Zwischenhändler bestimmt einen guten Schnitt gemacht.