: Es ist überhaupt kein Musiker zu sehen
Prince auf Deutschlandtournee / Das Spiel mit den Erwartungen / Das „Live“ beim Live ist eine Fiktion Prince spielte seine bekanntesten Stücke - in neuen Versionen / Zum Konzert in der Berliner Waldbühne ■ Von Thierry Chervel
Das Warten dauert lange. Mit Andreas Vollenweiders Harfenmusik wird das Publikum biodynamisch zur Geduld gemahnt. Noch säubert ein Roadie die Bühne mit einem Staubsauger, ein anderer legt Handtücher bereit. Dann wird das Vollenweider-Band endlich abgeschaltet, und ein anderes, das diesmal über die Konzertanlage läuft, angestellt, Princes Stimme, „Shut up, already, damn“, Zitate aus Purple Rain und Alphabet Street. Die Maschinerie setzt ein, Baß, Schlagzeug, Keyboards, Licht und Bühnennebel - nur: Es ist überhaupt kein Musiker zu sehen. Die Bühne liegt so verlassen da wie vorher. Sind die Musiker versteckt oder wird die ganze Musik per Computer, ohne den lästigen Umweg über lebende Personen in die Boxen gesamplet?
Prince hat das Medium immer in sein Konzept mit hineingenommen. In der Plattenfassung beginnt Housequake mit dem Geräusch einer hart aufsetzenden Plattennadel, in Starfish and Coffee sind Plattensprünge einkomponiert. Auch live ist Prince der einzige Musiker, der unverschämt genug ist, erst einmal vorzuzeigen, daß das „Live“ am Live eine Fiktion ist. Viel zu kompliziert und aufwendig ist die Maschinerie, als daß sie noch einen Funken Spontaneität zuließe, die Musiker sind die Marionetten einer fernen Regie am Mischpult. Prince spielt damit, und das heißt bis zu einem gewissen Grad, daß er da nicht mitspielt. Bei ihm liegen die Konventionen als Konventionen bloß, er zitiert und kombiniert sie, aber sozusagen falsch und schräg. Sie scheinen nicht recht zusammenzupassen, eher nebeneinanderzuliegen. Bei The Question of You, einem Stück von Princes wahrscheinlich Ende Juli erscheinender neuer LP Graffitti Bridge ist die Bühne ganz in blaues Licht getaucht. Prince beginnt das Stück mit ein paar elegischen Arpeggios am Klavier (unter anderem baut er da ein Zitat aus Beethovens Mondschein-Sonate ein). Es ist eine sehr melodiöse Ballade. Nur das Schlagzeug fällt da irgendwie raus, es ist übertrieben laut, geradezu grotesk, der Offbeat scheppert jedes Mal, als würde da ein Auto gegen einen Laternenmast fahren. In der Tanzeinlage nimmt Prince selstsam gebückte Haltungen ein. Die Arrangements sind so willkürlich und gebrochen, daß daraus dann doch noch so etwas wie Ausdruck hervorscheint. Zumal Prince in dieser Gebrochenheit ja anders als der ganz glatte Michael Jackson, der eher Filme erzählt (Thriller) oder Madonna, die eher von sich redet (I'm a Virgin) fast immer ganz ungebrochen ein direktes Objekt anspricht: I never meant to cause you any sorrow, You don't have to be rich, Take me with you, If I was your Girlfriend, Nothing compares to you - dieses Stück, das erst in Sinead O'Connors Coverversion zum Hit wurde, obwohl die Originalversion eigentlich noch schöner ist, spielte Prince übrigens zur haltlosen Begeisterung des Publikums als zweite Zugabe.
Purple Rain, Kiss, Alphabet Street, Little Red Corvette, Partyman usw. - auch in den bekannten Stücken enttäuscht Prince die Erwartungen des Publikums, das auf den Wiedererkennungseffekt aus ist, eher, als daß er sie erfüllt. Die Stücke gehen ineinander über, werden oft nur angedeutet, ein Intro beginnt, ein anderes Stück folgt, die Stücke werden abgebrochen oder enden ganz anders als man sie kennt, Alphabet Street zum Beispiel mit zwei unverzerrten, zirpenden, leisen klassischen Bluesgitarren wie von B. B. King.
In der letzten Zugabe, einer Reihung mehrer Stücke, von denen einige wohl neu sind, mit viel Rap und Breakdance, treibt Prince dieses Spiel mit den Erwartungen auf die Spitze. Das immer wiederkehrende Element darin ist das „Ende“, wie es in Rockkonzerten stets inszeniert wird: Schlußgetöse aller Instrumente, Lichtgewitter, Nebel, dann der letzte Schlag auf die Trommel, das „Thank you“ des Stars, die Musiker, die mit einer Verbeugung aufstehen, um die Bühne zu verlassen. Und dann geht es doch wieder los, ein neues Stück, und wieder Schlußgetöse, „Thank you“, Abgang, und wieder geht es los, und nochmal und nochmal. Irritierend. Die Zugabe dauert eine halbe Stunde.
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