Brautkleider auf dem Kudamm angezündet

Inge Viett galt als die meistgesuchte Frau in Europa / Die militante Feministin war beim „2.Juni“ und bei der RAF  ■ P O R T R A I T

„Die haben sie festgenommen? Das kann doch wohl nicht wahr sein.“ Leute, die heute 46jährige Inge Viett von früher kannten, können es kaum glauben. „Die war doch so pfiffig, und nun soll sie da in Magdeburg wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Fahnder gewartet haben. War doch klar, daß die irgendwann kommen. Früher hatte die immer den Überblick. Agil war sie, energisch, aktivistisch. Und lustig war sie auch, was man von vielen anderen Militanten von damals nicht behaupten kann.“

Damals, das war Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre. Die 1944 in Stemwarde bei Hamburg geborene Inge Viett arbeitete zu jener Zeit als Kindergärtnerin in West-Berlin, wo oppositionelle Kreise heftig die Konsequenzen aus dem Abebben der Studentenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition (APO) diskutierten. Die einen traten „den Weg durch die Institutionen“ an, die anderen bewaffneten sich.

Inge Viett gründete zusammen mit anderen die von anarchistischem Gedankengut inspirierte „Schwarze Hilfe“ für Gefangene. Als sie die späteren RAF-Mitglieder Verena Becker, Ingeborg Barz und andere kennenlernte, verübten die Frauen, die bald als selbständige bewaffnete Fraueneinheit innerhalb der „Bewegung 2.Juni“ agierten, als „militante Panthertanten“ die ersten feministischen Anschläge in der bundesdeutschen Geschichte. Einmal sollen sie in einer Nacht, so erzählen Insider, am Kudamm zwei oder drei Läden für Brautkleider abgefackelt haben.

So manches Mal ging damals blindester Aktionismus mit Inge Viett durch. So soll sie neben diversen Banküberfall auch bei einem Bombenanschlag auf den britischen Yachtclub in West-Berlin beteiligt gewesen sein, bei dem im Februar 1972 der Bootsbauer Erwin Beelitz getötet wurde. Wenige Monate später wurde sie zusammen mit den „2.Juni„-Mitgliedern Harald Sommerfeld und Ulrich Schmücker schlafend aus einem Fiat herausgeholt. Im Kofferraum war eine Bombe geparkt, die für die türkische Botschaft in Bonn gedacht war. Frau Viett wanderte in Untersuchungshaft, doch ein Jahr später gelang ihr zum ersten Mal die Flucht.

In der folgenden Zeit soll sie sich sowohl an der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann im November 1974 als auch an der Entführung des Westberliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz im Februar 1975 beteiligt haben. Bald wurde sie zum zweiten Mal gefaßt, und ein Jahr später flüchtete sie erneut - diesmal brach sie zusammen mit weiteren drei Terroristinnen aus der hochgesichertem Frauenhaftanstalt Lehrter Straße in West-Berlin aus, was dem damaligen Justizsenator Hermann Oxfort von der FDP seinen Job kostete.

Weiterhin beschuldigen sie die Sicherheitsbehörden, im November 1977 an der Entführung des Wiener Industriellen Walter Michael Palmers und im Mai 1978 an der Befreiung des damaligen Mitglieds der „Bewegung 2.Juni“ Till Meyer aus dem West-Berliner Knast beteiligt gewesen zu sein. Ungefähr im Jahre 1980, als die „Bewegung 2.Juni“ faktisch aufgelöst war, wechselte Inge Viett zur RAF über, doch die Ermittler brachten sie bereits mit den RAF-Attentaten auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer und Bankier Jürgen Ponto in Zusammenhang.

Im August 1981 geriet sie in Paris in eine Polizeikontrolle. Dabei soll sie einen ihrer Verfolger mit einer Pistole in den Hals geschossen und lebensgefährlich verletzt haben. Die Bundesanwaltschaft erließ deshalb im Jahre 1983 einen bis heute gültigen Haftbefehl wegen Mordversuches. Inge Viett galt seitdem lange Zeit als die meistgesuchteste Person in Europa und als hochgefährliche „Top-Terroristin“.

Doch anscheinend ist sie einen ähnlichen Weg gegangen wie Susanne Albrecht. Seit ungefähr zweieinhalb Jahren soll sie sich jetzt in der DDR befinden. In Mageburg habe sie unter dem Namen Eva Schnell in einem Stahlkombinat gearbeitet, gab ein Sprecher des Bundeskriminalamtes bekannt. Frau Viett sei bei ihrer Festnahme unbewaffnet gewesen und habe keinen Widerstand geleistet.

usche