Gesamtdeutsche Armee - aber ohne NVA

Auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr in Fellbach stellten Verteidigungsminister Stoltenberg und seine Kommandeursriege ihre Pläne vor: 400.000 Mann für die künftige deutsche Armee / NVA nur für Objektschutz?  ■  Aus Fellbach Erwin Single

Auf gesamtdeutsche Streitkräfte setzen nach der Vereinigung beider deutscher Staaten Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und seine Kommandeursriege. Die rund 320 Generäle und Admiräle der Bundeswehr, die auf ihrer Kommandeurstagung in Fellbach hinter verschlossenen Türen über Perspektiven deutscher Sicherheitspolitik berieten, scheinen sich auf ihre Vorstellungen von Stärke und Struktur einer gesamtdeutschen Armee verständigt zu haben: Der Gesamtumfang der Truppe soll wahrscheinlich 400.000 Soldaten betragen. Diese Maximalgrenze, die auch im Bonner Kanzleramt derzeit die Runde macht, orientiert sich an der bereits beschlossenen Verringerung der Bundeswehr auf 420.000 Soldaten. Die gesamtdeutsche Armee hätte damit die Stärke in der Größenordung des französischen Militärs oder wie die Armeen Polens und der CSFR zusammen. Die Nato hatte kürzlich offiziell 350.000 Soldaten vorgeschlagen.

Auch über den Weg zu gesamtdeutschen Streitkräften haben sich die westdeutschen Militärs schon ihre Gedanken gemacht: Die Nationale Volksarmee der DDR (NVA) soll praktisch aufgelöst werden. DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann werde sich mit seiner Vorstellung von zwei deutschen Armeen nicht durchsetzen, war zu erfahren. Sobald Deutschland ein Staat mit einer Regierung sei, müsse man nach einer kurzen Übergangszeit zu einer deutschen Armee kommen, erklärte Minister Stoltenberg vor den Kommandeuren. Die Verbände der NVA sollen als Teil einer umfassenden Territorialorganisation neu strukturiert werden. Der NVA -Truppe von zirka 60.000 Soldaten käme mit einer defensiven Ausrüstung somit in erster Linie die Aufgabe zu, etwa militärische Objekte zu schützen. Stoltenberg versuchte auch, seiner Truppe die Angst vor Entlassungen zu nehmen: In Besitzstände werde nicht willkürlich eingegriffen. Die notwendige Anpassung soll vielmehr über eine Nachwuchssteuerung und im Bereich der Wehrpflichtigen erfolgen. Auf eine Wehrdienstverkürzung wollte sich Stoltenberg nicht festlegen lassen. Nach dem Rückgang der Bewerberzahlen für Zeit- und Berufssoldaten und drohenden Kürzungen des Verteidigungshaushalts hatte Generalinspekteur Wellershoff bereits am Montag Alarm geschlagen. In Fellbach war indes nicht zu verkennen, daß der innere Zustand der Streitkräfte durch Verunsicherung gekennzeichnet ist. Mit gemischten Gefühlen werden die geopolitischen Veränderungen beobachtet; immer wieder wird darauf hingewiesen, daß angesichts des Wandels die Eckdaten für die weitere Planung „noch nicht in vollem Umfang“ bekannt seien.