Dokumentarischer Fotoroman

■ „Der Fotograf“: Film von Thomas Mitscherlich und Franz Winzentsen in der HKM

Es hat etwas Werkstatthaftes, produktiv Unfertiges, wenn Filme nicht im Kino vorgeführt werden, sondern - so wie „Der Fotograf“ von Thomas Mitscherlich und Franz Winzentsen - vor studentischem Publikum in einem Hochschulraum. In diesem Fall liegt es aber wohl auch am Film selbst, an seiner Struktur, seiner Idee, dem experimentellen Charakter, daß er mir vorkam wie ein sprunghafter, sehr subjektiver, so witziger wie melancholischer - ein wenig krauser filmischer Versuch, mit Fotografien aus dem Archiv der AG-Weser Bremer Geschichte als Teil deutscher Geschichte zu erzählen. Fotografien, die von Franz Winzentsen,

dem Animationsfilmer, mit kleinen, fast unmerklichen Tricks in Bewegung versetzt wurden.

„Der Fotograf“ all dieser Dokumentaraufnahmen heißt Friedrich Büx und ist eine fiktive Figur, die einen ebenso fiktiven Sohn hat: Hannes, der nicht Fotograf, sondern Taucher wurde. Warum?, will seine Freundin, die amerikanische Jüdin Francie wissen: „Weil ein Elefant ins Wasser fiel.“ Mitscherlichs Liebäugeln mit Alexander Kluge ist nicht zu überhören: Der Taucher taucht mit den Fotos seines Vaters in die Geschichte ein, interpretiert, was er da sieht, gemeinsam mit seiner Freundin.

Diese Gespräche - ein „Foto

roman“, wie Mitscherlich sagt - bilden die Rahmenhandlung, in der, manchmal ein wenig zu didaktisch, die Frage nach der Erklärungskraft fotografischer Zeugnisse gestellt wird: Wie sieht man das dokumentarisch Fotografierte, wenn man von der historischen Wirklichkeit auf dem Foto nichts erfährt? Was kann man in Fotos hineinphantasieren an Privatem - und was läßt sich herauslesen an verschwiegener Wirklichkeit?

Meist handelt es sich um Fotografien, die man so oder ähnlich schon gesehen hat - die AG-Weser, Kriegsschiffe, Erste-Weltkriegssoldaten, Zwangsarbeiter am Bunker Farge im 2. Weltkrieg

-aber in diesem Film beginnen die Fotos zu sprechen: Das dokumentarische Produkt technischer Projektion - die Fotografie - wird lebendig durch die Projektionen des phantasierenden, assoziierenden Betrachters. Und sprunghaft, wie Assoziationen sind, ist auch der Film. Das ist sein dramaturgisch schwacher Punkt, ist aber zugleich die spielerische Kraft, die ihn bewegt. Es hat etwas Werkstatthaftes, produktiv Unfertiges, Fotografien anzusehen, die nicht zum x-ten Mal Geschichte nur optisch beglaubigen, sondern zum Material interpretierenden Nach -Erzählens werden.

Sybille Simon-Zülch