Es gilt, den Kurs zu halten und das Tempo zu steigern

■ Eine Bilanz rot-grüner Senatspolitik für die Ressorts Justiz, Polizei und Verfassungsschutz

In den Bereichen Justiz und Polizei sowie Verfassungsschutz hat die rot-grüne Koalition durchaus Akzente gesetzt, die über kosmetische Veränderungen hinaus gehen. Im Bereich der Staatsanwaltschaft ist hier neben der Abschaffung der Spezialabteilungen für Straftaten im Strafvollzug und der Straftaten von Ausländern zuerst die Auflösung der politischen Abteilungen zu nennen. Daß diese Öffnung einer Wagenburg politischer Strafverfolgung trotz des Widerstands der Generalstaatsanwälte und der konservativen Richter-, Staatsanwalts- und sogar Anwaltsvereine gelang, war wohl der spektakulärste Erfolg rot-grüner Justizpolitik. Daß der die Umsetzung verweigernde Generalstaatsanwalt Treppe abgewählt und ein liberaler neuer Generalstaatsanwalt gewonnen wurde, bewies sowohl die Handlungsfähigkeit wie auch eine glückliche Hand bei der Personalbesetzung. Die gleiche glückliche Hand bewies die Koalition übrigens mit der erstmaligen Berufung einer Richterin zur Präsidentin des Kammergerichts. Die auch von Strafverteidigern kritisierte Einrichtung neuer Dezernate für Gruppengewalt hat bisher nicht zu „kleinen Ersatz-P-Abteilungen“ geführt. Kein einziges Verfahren vom 1. Mai 1989 oder 1990 ist dort gelandet.

Die jahrelange rechtswidrige Weitergabe von Akten der P -Abteilungen an den Verfassungsschutz wurde durch eine neue Weisung beendet. Jugendlichen U-Häftlingen wird jetzt generell ein Anwalt beigeordnet. Im Bereich des Strafvollzugs sind nach Auswechslung des Abteilungsleiters in der Senatsverwaltung neue Vorschriften für die Anwendung des Strafvollzugsgesetzes teils verabschiedet, teils in der Beratung. Akteneinsicht in die Gefangenenpersonalakte und in die Gnadenakte sind kleine, aber wichtige Schritte zu mehr Transparenz und zur Verhinderung unkontrollierter Anstaltsmacht.

Mit der Abschaffung der Sicherungsgruppe im Knast wurde eine sich immer mehr verselbständigende Sondereinheit aufgelöst, die zu Denunziantentum und Falschbelastungen um des eigenen Vorteils willen geführt hatte. Rund 3.000 Sonderhefte außerhalb der offiziellen Gefangenenpersonalakten, die von dieser Abteilung angelegt wurden, werden aber weiterhin in der Anstalt geführt. Wenn diese Sammlungen vertraulicher Hinweise und Denunziationen nicht vernichtet werden, müssen sie als Anlage zur Gefangenenpersonalakte deren Akteneinsicht unterworfen werden.

Die verabredete Bundesratsinitiative zur Abschaffung des §129a StGB muß angesichts der jetzt veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat unverzüglich ergriffen werden. Im Bereich der Polizei sind einige wenig spektakuläre, aber nicht unwichtige Veränderungen erfolgt: Die in der Ausbildung befindlichen jugendlichen Polizisten werden nicht mehr kaserniert. Eine äußere Bedingung für den Corpsgeist ist damit entfallen. In die Ausbildung sind Psychologie und Streßtraining aufgenommen worden. Früher absolvierten Polizisten zunächst Dienst in geschlossenen Einheiten. Sie lernten in der Polizei zuerst also Situationen kennen, in denen sie in konfrontative Auseinandersetzungen mit klarem Feindbild einbezogen wurden. Jetzt werden sie zunächst im Einzeldienst eingesetzt, lernen die soziale Wirklichkeit kennen und werden erst mit mehr Lebens- und Berufserfahrung in geschlossene Einheiten versetzt.

Die jetzt beabsichtigte Auflösung der Freiwilligen Polizeireserve ist eine über die Koalitionsvereinbarungen hinausgehende richtige Schlußfolgerung aus dem Ende der Blockkonfrontation. Daß jetzt aus Ost-Berlin die Diskussion um den Polizeibeauftragten neu entfacht wird, sollte auch bei uns diese Diskussion und die Einführung individueller Kennzeichen fördern. Beides sind Schritte, das innere Feindbild abzubauen und Transparenz und Verantwortungsbewußtsein zu stärken. Im Bereich des Verfassungsschutzes ist die Auskunftserteilung und Akteneinsichtgewährung in Berlin einmalig. Jeder Bürger sollte diese Chance, seine Eintragungen löschen zu lassen, nutzen. Auch wird dadurch tausendfach deutlich, welcher Datenschrott dort als strenges Geheimnis archiviert wurde. Als Instrument der Bürgerbespitzelung verliert ein solches Amt seinen Schrecken. Allerdings müßte beim Verfassungsschutz - wenn er schon nicht aufgelöst wird - ein deutlicher Personalabbau die Antwort auf das politische Scheitern von SED/SEW sein.

Wenn ein Schiff seinen Kurs in einem Winkel von beispielsweise zehn Grad verändert, so wird die Kurskorrektur erst allmählich sichtbar. Die Distanz zum alten Kurs vergrößert sich aber entsprechend der zurückgelegten Strecke. Jetzt das Steuerrad wieder den alten Lotsen zu überlassen, würde sehr schnell auf den alten Kurs zurückführen. Dies wäre um so fataler, als schweres Wetter und soziale Wellen im Zuge der deutschen Vereinigung heraufziehen. Es gilt, Kurs zu halten, aber das Tempo zu steigern, damit der Abstand zum alten Kurs schneller sichtbar wird.

Hans-Joachim Ehrig, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidige