Serben fordern freie Wahlen

Größte antikommunistische Demonstration in Belgrad / Rechtsextreme fordern freies Serbien ohne Albaner  ■  Roland Hofwiler aus Belgrad

Hunderttausend Demonstranten hatte man am Mittwoch erwartet

-und nur 30.000 kamen. Und dennoch war es die größte antikommunistische Protestaktion, die die Belgrader je gesehen hatten. Auf Spruchbändern forderte man freie Wahlen noch in diesem Jahr und Gespräche am Runden Tisch zwischen den fünf neugegründeten Oppositionsparteien und den alleinregierenden Kommunisten unter dem charismatischen Führer Slobodan Milosevic. „Wie lange sind wir noch das Schlußlicht in Osteuropa?“, „Was Slowenien und Kroatien kann, kann Serbien noch allemal“, spielten die Parolen auf die nordjugoslawischen Republiken an, wo die Kommunisten im Mai abzudanken hatten und neue bürgerliche Parteien die Regierungen stellen.

Zwar griff die Polizei nicht ein und die Demonstration im Herzen Belgrads verlief bis in die Abendstunden friedlich, doch kam es immer wieder zu kritischen Situationen. Denn der Demonstrationszug zeigte sich so heterogen wie man es in den letzten Wochen bei Protesten in den benachbarten Ländern Rumänien und Bulgarien gesehen hatte. Da reihten sich extremnationalistische Kreise ein und forderten offen: „Slobodan (Milosevic), wann vertreibst du die Albaner“ oder „Serbien muß stark und frei sein - ohne Albaner“. Gerade diese Kreise hatten lange auf Milosevic gesetzt und dessen Argument ernst genommen, Jugoslawien könne sich keine Demokratie leisten, denn dann werde auch die albanische Minderheit „auf dem serbischen Kernland“, dem Kosovo, „bürgerliche“ Rechte und mehr Autonomie fordern.

Mehr Rechte für die Minderheiten innerhalb der Republik Serbien hatten indes Vertreter der „Sozialdemokratischen Partei“ und des Intellektuellenclubs „Demokratische Initiative“ gefordert. Im Parlament in Belgrad war es daraufhin zu ernsten Handgreiflichkeiten zwischen Anhängern dieser informellen Parteien und Unterstützern der „Serbischen Erneuerungspartei“ gekommen.

Radio Belgrad scherte gestern beide Oppositionsrichtungen über einen Kamm und erklärte, der Mittwoch habe doch gezeigt, wohin „eine falsch verstandene Demokratie“ führe. Und Milosevic-Stellvertreter Dr. Bogdan Trifunovic: „Einige Elemente treten in diesen Tagen mit einer Intoleranz und Ausfälligkeit auf, die ihresgleichen sucht.“ Trifunovic und Milosevic geben sich zuversichtlich, daß man freie Wahlen bis ins kommende Jahr hinausschieben und noch als Sieger hervorgehen könne. Seit Montag nennen sich nun die Kommunisten „Sozialistische Partei Serbiens“ und haben angeblich bereits von Willy Brandt die persönlich Zusage, in die „Sozialistische Internationale“ aufgenommen zu werden.