SPD-Springprozession zu Ende

Aus „Pflichtgefühl“ sagt die SPD Ja zum Staatsvertrag / Lafontaine: Zeit für Änderungen nicht mehr vorhanden / Bild der Harmonie zwischen Lafontaine und Vogel  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Die SPD stellt sich ihrer „Pflicht“ und sagt Ja zum Staatsvertrag. Der Parteirat, höchstes Gremium zwischen Parteitagen, und der Parteivorstand billigten einen entsprechende Empfehlung, die deutlich die Handschrift Lafontaines trägt.

Der saarländische Ministerpräsident machte deutlich, daß ihm eine Ablehnung lieber gewesen wäre. Das „Dilemma“ der SPD sei es allerdings, daß die Vorbereitungen für die Wirtschafts- und Sozialunion so weit gediehen seien, daß die Zeit für Änderungen nicht mehr vorhanden sei. Er habe allerdings auch lernen müssen, daß die von ihm empfohlene Ablehnung im Bundestag von der Fraktion als Ablehnung der Einheit empfunden werde. Die von ihm betriebene Debatte sei aber keine „Auseinandersetzung über das Ja oder Nein zur deutschen Einheit, sondern über den richtigen Weg“, wird in der Entschließung ausdrücklich festgestellt. Die SPD -Fraktion beriet nach Redaktionsschluß über ihr Abstimmungsverhalten im Bundestag. In dem von beiden Gremien nahezu einhellig unterstützten Papier werden die „unberechenbaren Risiken“ gegeißelt, die mit dem Kohlschen Weg verbunden seien. Weil man es aber als die „Pflicht“ ansehe, ein „soziales Chaos“ in der DDR zu verhindern, welches bei einer Ablehnung entstünde, sei eine Zustimmung „unvermeidbar und notwendig“. Damit werde aber weder das Verfahren noch die „völlig unzureichende Vorbereitung“ oder die Inhalte des Staatsvertrags gebilligt. Allein Kohl trage die politische Verantwortung für die Folgen des überstürzten Vorgehens.

Die Nachbesserungsinitiative der SPD habe aber zu „substantiellen Veränderungen“ des Vertragswerks geführt. Damit sei der Weg zum „Ja“ eröffnet, den die SPD-geführten Landesregierungen in eigener Verantwortung entschieden, sagte der Parteiratsvorsitzende Gansel. Wer zu einem „wohlerwogenen Nein“ komme, bewege sich damit aber nicht außerhalb der „Legitimität und Solidarität“ der SPD, fügte er mit Blick auf das Saarland hinzu.

Lafontaine erhielt vom Parteirat herzlichen Beifall und wurde auch in der Diskussion nicht kritisiert. Zur Frage des gesamtdeutschen SPD-Vorsitzes warnte der Ministerpräsident vor voreiligen Äußerungen, die lediglich Porzellan zerschlügen. Vogel und Lafontaine betonten demonstrativ vor der Presse, die Vorsitz-Frage werde einvernehmlich mit den Gremien der Partei gelöst. Bei der Sitzung der Führungsgremien nahmen auch Vertreter der DDR-SPD teil. Der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Volkskammer, Schröder, kritisierte das „putschartige“ Vorgehen der DDR-CDU für baldige gesamtdeutsche Wahlen. Es könne aber sein, daß die Frage eine „Fahrt bekomme, die nicht mehr berechenbar“ sei.

Die rund 100 Mitglieder des Parteirats forderten, vor gesamtdeutschen Wahlen müßten die Menschen in beiden Teilen Deutschlands über eine neue Verfassung abstimmen. Willy Brandt forderte, gesamtdeutsche Wahlen dürften erst stattfinden, nachdem in den 2+4-Gesprächen die volle Souveränität erreicht sei.