: SOUND IN DER RÖHRE
■ Langsam und erregend kriecht es in uns hoch: das Hamburg-Feeling
Langsam und erregend kriecht es in einem hoch: das Hamburg -Feeling
Viele Wege führen nach Hamburg. Doch nur einer ist der richtige: der südliche. In Frage kommen die alten Elbbrücken, die freihängende Köhlbrandbrücke hoch über dem Freihafen oder, als drittbeste Möglichkeit, der Elbtunnel. Nur auf diesen Routen, Auge in Auge mit dem Hafen, kriecht es langsam und erregend in einem hoch: das Hamburg-Feeling.
Das Tor zur Welt, das Hoch im Norden will Hamburg sein. Tatsächlich ist man angesichts der unzähligen Ladekräne und Lagerschuppen versucht, den blauen Seemannstroyer, das schneidige Kapitänshütchen überzustülpen und solcherart die Stadt zu erobern. Nur: In diesem Aufzug wird ein jeder sofort als Tourist enttarnt. Denn die Hamburger sind chic. Zumindest die, die rund um den Jungfernstieg und Gänsemarkt in den zahlreichen überdachten Edel-Einkaufspassagen mit Hummer und Schampus den Einkaufshunger stillen. Nicht aufdringlich extravagant sind sie, nicht exotisch, vielmehr dezent teuer.
Understatement heißt das Zauberwort. Der größte denkbare Fauxpas, der gesellschaftliche Supergau sozusagen, wäre, sich einem Hamburger mit südlicher Lederhosen-Gemütlichkeit anzubiedern. Dies wird sofort mit einem eisigen Fischblick bestraft.
In Hamburg ist man höflich. Und vor allem distinguiert. Am liebsten wäre man britisch. Deshalb sind die Hanseaten so stolz auf ihr britisch-schlechtes Wetter. Dummerweise fällt die Statistik der Wirklichkeit und den Regenschirmherstellern in den Rücken. Sie besagt nämlich, daß die Stadt bezüglich des Regens nur bundesdeutscher Durchschnitt ist. In Garmisch-Partenkirchen etwa regnet es mehr.
Ha, wird einem hier der Hamburger entgegenschleudern, aber wo ist in Bayern das Seeklima, wo der Wind? Tatsächlich windet es in Hamburg praktisch ununterbrochen, was mindestens drei erfreuliche Nebeneffekte mit sich bringt: Die Eingeborenen dürfen ihre geliebten Trenchcoats ausführen, die Segeljollen auf der Binnenalster wassern, aber - was wichtiger ist - die Stadt stinkt kaum.
Wo andere Großstädte vor lauter Autoabgasen kaum noch Luft bekommen, atmet Hamburg relativ leicht. Was zu dem Trugschluß führen kann, Hamburg sei eine saubere Stadt. Mitnichten. Noch vor ein paar Jahren galt Hamburg als die Müllhalde der Bundesrepublik. Das hat sich seit der Schließung des Chemiegiganten Boehringer etwas gebessert. Doch trotz aller Beschönigungen empfiehlt es sich nach wie vor, zügig am schwelenden Georgswerder Giftmüllberg und der benachbarten Norddeutschen Raffinerie vorbeizufahren.
Mit der Ölraffinerie hat Hamburg ebenso leben gelernt wie mit dem Beiersdorf-Chemie-Konzern. Dennoch stand es um Hamburgs Wirtschaft lange Zeit nicht zum besten. Der Hafen hatte an Bedeutung eingebüßt, immer mehr Geschäfte wurden über Rotterdam abgewickelt. Das für die Bürger romantische Bild des Hafenarbeiters, der mit Haken die Säcke vom Schiff schleppt, mußte längst der Realität computergesteuerter Container-Terminals weichen. Weltberühmte Werften wie Blohm und Voss feierten jeden Auftrag frenetisch. Seit der Öffnung der Grenzen zur DDR herrscht jedoch Goldgräberstimmung in der Stadt. Der Hafen und die gesamte Wirtschaft hat Hochkonjunktur. Hamburg, chronisch pleite und vom investitionsgesegneten Süden als Entwicklungland abgestempelt, sieht plötzlich und unerwartet dem Aufschwung entgegen.
Doch an den Landungsbrücken sind solche Überlegungen vergessen. Hier herrscht die Seemannsromantik. Zwischen den Barkassen, neben der Weißen Flotte der England-Fähren, greifbar nah an riesigen Übersee-Schiffen träumt man, die besten Fischbrötchen der Welt kauend, vom großen Abenteuer.
Meist wird's dann doch nur die Hafenrundfahrt, die zum absoluten Touristen-Pflichtprogramm gehört. Eine Stunde lang lernt man für ca. 15 DM jeden Kai und jeden abgedroschenen Seemannswitz kennen. Wem die Lobpreisung Hamburgs zu viel wird, kann nur ein paar Meter weiter, am Anleger „Vorsetzen“, direkt neben dem Sitz der Umweltorganisation „Greenpeace“, eine alternative Hafenrundfahrt mitmachen. Der Verein „Rettet die Elbe“ zeigt die dunklen, giftigen Seiten der Romantik. Termine hierfür erfährt man, wie eigentlich alles, was der Hamburg-Tourist braucht, in der Fremdenverkehrszentrale im Bieberhaus, direkt am Hauptbahnhof (Tel. 040/300510).
Dorthin begibt man sich wegen vollgestopfter Straßen am besten per U- oder S-Bahn. Eine Tageskarte für beliebig viele Fahrten kostet 6,20 DM. Schwieriger wird es mit einem billigen Quartier. Hotelpreise bewegen sich von 70 DM an steil nach oben. Billigere Pensionen um die 30 DM findet man rund um Hauptbahnhof und Hafen. Von der Lage her ein Hit ist die Jugendherberge „Stintfang“ auf einem Hügel gleich hinter den Landungsbrücken (ca. 15 DM). Voraussetzung für alle Jugendherbergen: Ein gültiger Herbergsausweis (15-20 DM). Informationen beim Jugenherbergswerk, Rennbahn 100, HH 74, 040/6510031.
Essenstechnisch darf gar niemand Hamburg verlassen, ohne das traditionelle Seemannsgericht, den Labskaus zu probieren. Nicht jedermanns Sache ist die Hamburger Aalsuppe, süß-sauer. Deftige Köstlichkeiten dieser Art erhält man zu erschwinglichen Preisen in den Weinstuben „Kleinneumarkt“ am Großneumarkt. Dieser kneipenreiche Platz ist im allgemeinen fest in der Hand von Touristen. Gute Fischgerichte sind überall teuer, am günstigsten sind noch die portugiesischen Restaurants am Rödingsmarkt. Auf keinen Fall das Fischereihafenrestaurant betreten! Dort sind die Ober vornehmer als die Gäste. Wer billig essen will, dem sei die Universitätsmensa in der Schlüterstraße empfohlen. Für ein paar Mark wird man dort satt.
Was man vom offiziellen Hamburg gesehen haben muß - Michel, Rathaus, Reeperbahn, Binnenalster, Blankenese - findet man in jedem Reiseführer, oder man nimmt an einer Stadtrundfahr teil (Start: Hauptbahnhof). Eine alternative Tour, organisiert vom Landesjugendring, führt hingegen zu den Stätten der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Widerstands. Anmeldung unter Tel. 3195345 erbeten! Wichtig für Kultur und Subkultur, Termine und Orte sind auch die monatlichen Stadtmagazine, wobei die 'Szene‘ am übersichtlichsten erscheint.
Sehenswert ist in jedem Fall der alte Elbtunnel nahe der Landungsbrücken, den man auch zu Fuß begehen kann. Manchmal spielt dort eine Band, der Sound in der Röhre ist unvergleichlich. Gleich um die Ecke stehen die bunten Häuser der autonomen Hafenstraße. Wer sich's verkneifen kann, der lasse die Freaks dort in Ruhe. Schlimm genug, daß Stadtrundfahrten dort vorbeiführen. Witzig ist hingegen der Fischmarktbesuch, jeden Sonntag ab 5 Uhr früh bis 9 Uhr. Zwar hat das Stadtbauamt dort alles auf fein und sauber getrimmt, doch sonntags fliegen dort Aale, Blumen und Bananen durch das dichtgedrängte Volk. Die Sprüche sind unbeschreiblich.
Eine Renaissance erlebt der schon totgeglaubte Kiez, die Reeperbahn. Viele Kneipen, Kabaretts, Kinos und Discotheken haben sich zwischen den Sex-Läden angesiedelt. Auch Lloyd Webbers Musical Cats spielt hier im Operettenhaus (Karte 80 DM). Erschwingliche kulturelle Highlights von Kabarett bis Tanzfestival bietet die „Kampnagelfabrik“ in Winterhude.
Einfach hinreißend ist das sommerliche Wasserlichtkonzert, täglich um 22 Uhr im „Planten un Blomen„-Park. Zu klassischer Musik werden Fontänentänze komponiert, deren Schöhnheit durch Farblicht noch gesteigert wird.
Doch wer Hamburg wirklich begreifen will, muß zur „Strandperle“ nach Övelgönne. Vorbei am Museumshafen mit alten Segelschiffen geht man ein Stück am Elbstrand lang, bewundert nebenbei die schnuckeligen Kapitänshäuschen, bis man mitten auf dem Strand auf ein Imbißhäußchen stößt, die „Strandperle“ eben. Dort holt man sich Labendes und läßt sich fortan im Sand nieder. Vor einem werden Ozeanriesen durch die stinkende Elbe geschleppt, gegenüber raucht die Ölraffinerie, um einen herum spielen alle Hunde Hamburgs und klöhnen die verschiedensten Leute. Unkomplizierte Vertrautheit, die sich Hamburger nirgendwo anders erlauben. Dann und wann verabschiedet sich ein Schiff laut tutend, alle lächeln, denn - da war es wieder: das Hamburg-Feeling.
Michaela Schießl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen