Falsche Gewißheit

■ Betr.: „Deutsche auf der Couch“, taz vom 2. Juni

Woher nimmt Sybille Simon-Zülch ihre Gewißheit, auf der die Argumentation ihres Berichtes beruht, Dierk Juelich bediene sich in anmaßender Weise beispielsweise des Wortes „Shoah“, welches nur den Überlebenden des Vernichtungs-und Verfolgungsgeschehens zustehe? Ist es nicht gleichfalls ein Smptom, in einer selbstverständlichen Manier alle Anwesenden zu „Deutschen“ zu erklären? Deutlich wurden mir abermals zwei grundlegende dem Thema immanente Schwierigkeiten: Erstens sind die Annäherungen an die Erkenntnis der Wirkungsweisen des Verleugneten oder Verdrängten stets begleitet von Abwehr, was gleichzeitig auf die Schwere der Problematik und die Notwendigkeit solcher Annäherungen verweist. Und zweitens bedarf es einer Bereitschaft, sich auf psychoanalytische Erkenntnisweisen einzulassen, da sie sich der Alltagslogik entziehen. Die „unfaßliche Grausamkeit, die mit nichts zu vergleichen ist als mit ihrer eigenen Monstrosität“, wie S. Simon-Zülch schreibt, läßt sich eben mit der im Vortrag von D. Juelich ausgeführten narzißtischen Kränkung erklären, nicht, weil sie ein „familiales Kategoriensystem“ entfaltet (dies ist wiederum nur eines der allgemeinen Mißverständnisse, die der Psychoanalyse gelten), sondern weil gerade die narzißtische Kränkung die Emotionslosigkeit, die der organisierten Massenvernichtung zu eigen war, erklären kann. Die „Wiederkehr des Verdrängten“ inszeniert sich einerseits dort, wo neuerdings nationale Größenphantasien sich ausbreiten, andererseits auch da, wo sich im Gestus der Überheblichkeit und Entwertung eigene Verwicklung maskiert. Es ist letztlich eine Vereinnahmung der Opferperspektive, die diese Distanzierung ermöglicht. Viele der von S. Simon -Zülch aufgeworfenen Fragen halte ich für immens wichtig, leider degradiert sie sie selber zu rhetorischen. Richtig ist die Kritik an einem Teil der Ankündigungszettel, auf denen Auschwitz mit zwei „s“ geschreiben wurde, richtig auch, daß es ein verbreitetes Phänomen ist, ebenfalls symptomatisch. Leider habe ich versäumt, in der Begrüßung darauf hinzuweisen, wodurch der Eindruck entstehen mußte, es wäre keiner/m vorher aufgefallen. Vielleicht ein Zeichen eigener Verdrängung.

B. Scherer