(Psycho-) Analyse sehr wohl sehr sinnvoll

■ Betr.: „Deutsche auf der Couch“, taz vom 2. Juni

Es grenzt schon an Ignoranz und Unvermögen, in einer Art und Weise einen Vortrag (miß-) zu verstehen, der ausdrücklich sozialpsychoanalytische Aspekte thematisierte, die um die „Wiederkehr des Verdrängten“ - aus der unsäglichen Nazi -Vergangenheit - kreisten. Klar ist - und dies wurde auch vom Referenten bestätigt -, daß es nicht nur eine, die psychoanalytische, Sichtweise geben kann, um das grauenhafte Geschehen zu ergründen, was in dem, „wofür Auschwitz steht“, eskalierte. Meines Erachtens wies der Referent zu Recht auf die Wichtigkeit psychoanalytischer Interpretationsversuche hin, wenn die inner-psychischen Dimensionen des Faschismus angesprochen werden. Die ökonomistischen Erklärungsversuche gaben mir seinerzeit jedenfalls nicht die Spur einer Annäherung/Vorstellung von den Tiefen subjektiver Verstricktheit in den Faschismus. W.Reichs „Massenpsychologie des Faschismus“ bot da glücklicherweise die erste ernstzunehmende Ausnahme. Mit der vom Referenten im Vortrag mehrmals gebrauchten Formulierung „das, wofür Auschwitz steht“, die Sybille Simon-Zülch als „formelhaft“ empfand, wird eben nicht nur auf die millionenfach -industrielle Vernichtung von Juden hingewiesen, sondern auch auf die unermeßlich-psychischen Dimensionen des Leides, das dieses Geschehen für die überlebenden, nächsten Angehörigen der Opfer, bis hin zur gesamten Judenheit, bedeutet(e). In einer rein zahlenmäßigen Quantifizierung geht „das, wofür Auschwitz steht“, eh nie auf. Simon-Zülchs „Kritik“ läßt insbesondere mangelnde Bereitschaft erkennen, sich wirklich mit den Inhalten des Referats und der Diskussion auseinanderzusetzen. Was allerdings in (psycho-) analytischen Prozessen/Therapien möglich ist, ist, daß die individuelle Verstricktheit in jene grauenvollen Abläufe und deren Verdrängung, Verleugnung und Abwehr hervorgeholt, bearbeitet und - ja, auch aufgearbeitet, werden kann. Aufgearbeitet jedoch nur im Sinne eines Wiedergewinnens von dem, was R. Giordano „humane Orientierung“ nennt. Dies wäre u.a. verknüpft mit einer „Selbstbefreiung durch Ehrlichkeit“ und der „Wahl des konflikthaften Selbstgeständnisses“. Exakt das, was Simon-Zülch als „dürftigen Versuch“ der Psychoanalyse disqualifiziert, also die Übertragung bzw. Vermittlung individuell-psychischen Geschehens auf die bzw. mit der Gesellschaft haben keine geringeren unternommen als A. und M.Mitscherlich mit ihrem Buch: „Die Unfähigkeit zu trauern“. Die Argumentationsrichtungen dieses wichtigen Buches und des Vortrages vom Referenten, Dierk Juelich, liegen auf ähnlicher Linie. - Ich denke, sie machen viel Sinn!

G. Vey, 2800 Bremen